Die Frage »Was gibt es heute Mittag zu essen?« beschäftigt uns jeden Tag. Auch auf Forschungsreisen sind Wissenschaftler hungrig; vielfach hat die Frage auch andere Facetten: »Gibt es überhaupt etwas zu essen?«, »Was haben wir noch?« oder »Wie viel dürfen wir uns heute gönnen?«
Bei Expeditionen gibt es zwei grundlegend verschiedene Ansätze: Alles mitnehmen oder Versorgung vor Ort mit lokalen Produkten.
Der Geologe Gerhard Fuchs (1934-1920), der zwischen 1963 und 2004 insgesamt 18-mal für geologische Kartierungsarbeiten im Himalaya war und in Fachkreisen als »Himalaya-Fuchs« bekannt ist, setzte stets auf lokale Verpflegung. Im Gespräch blickt er zurück: »Es ist so, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Leute mit den eigenen Lebensmitteln – so wie sie sich eben verpflegen in der Gegend, mit Reis oder Fladenbrot und so weiter –, dass sie mit dem am besten umgehen können und nicht mit unseren Konserven. Schon das Abschätzen der Mengen, das geht einfacher. Und für dieses Klima ist es oft besser, als wenn man da zum Beispiel Rindfleisch isst in der Hitze. Es ist günstiger, die Ernährung, mit der die Leute dort leben, auch zu benützen. Das war meine Taktik bei den ganzen Expeditionen, möglichst einheimische Lebensmittel zu verwenden – und auch keine allzu großen Mengen davon.«
Gerhard Fuchs, erfahrener Himalayageologe, setzte stets auf Selbstversorgung und fischte. © A. Matura
Im Himalaya: Gerhard Fuchs fischt frische Fische
Doch Fuchs setzte nicht nur auf einheimische Helfer, sondern auch – frei nach dem Motto »Selbst ist der Mann« – aufs Fischen. »Ich habe ein Fischzeug von meinem Vater noch gehabt. Dort kannst du fischen oder jagen wie du willst, ich habe nicht gejagt, aber gefischt. Ich bin oft als Erster nach Hause gekommen und, während die gekocht haben, bin ich zu einer Klippe, hab die Angel hineingeworfen. Das war ganz interessant: die ersten zwei, drei Fische – überhaupt kein Problem. Dann spricht es sich herum. Da wirfst du den Köder rein, und du siehst, wie sie ausweichen.« Auch bei Ködern war er erfahren: »In Afghanistan [Expedition 1972] habe ich Maulbeeren genommen. Wenn sie ganz getrocknet waren, dann hat man sie nicht gut befestigen können. Die Fische hat dann der Koch weiterbehandelt, gebacken hat er sie meistens.«
Sein Kollege Alois Matura, der bei der Afghanistan-Expedition im Team war, führte penibel Tagebuch. Am 10. Juli 1972 notierte er: »Die Träger backen auf originelle Weise Brot, Gerhard geht dem Fischfang (erfolglos) nach.« Als er zwei Wochen später erkrankt war, gehörten Fische zur Krankenkost. »Die Kopfschmerzen nehmen allmählich ab. Mittags esse ich ein wenig Reissuppe, abends ebenfalls, sogar ein kleiner Bissen von jenen Fischen, die Gerhard tagsüber gefischt hatte, tat mir schon gut.« [27. Juli 1972].
Afghanische Träger bei der Zubereitung von Brotteig im Jahr 1972. © A. Matura
Freilich hängt das lokale Essen vom lokalen Angebot ab, so bieten die Polarregionen andere Möglichkeiten, als die Sahara, wo man sich mit Datteln ganz gut durchschlagen kann. Das tat der Forschungsreisende Erwin von Bary (1846–1877), ein gebürtiger Münchner, der am 29. August 1876 um 6 Uhr abends von Tripolis Richtung Süden aufbrach. Er hatte allerlei Problem mit Kamelen, wusste aber, wie er sie gefügig machen konnte: er fütterte sie mit Datteln! Dass wohl auch Bary Datteln aß, muss nicht extra erwähnt werden. Dass er dafür weder Werkzeug noch Besteck benötigte, weiß auch jeder.
Eisbären am Speisezettel der Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition
Anders, wenn Eisbären (!) einen fixen Bestandteil der Nahrung bieten, wie etwa auf der legendären Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition der Jahre 1872 bis 1874, der Payer-Weyprecht-Expedition. Eisbären und Seehunde bildeten einen wichtigen Bestandteil am Speisezettel der Polarforscher. Doch dafür galt es gut gerüstet zu sein, Gewehre und Munition im Gepäck waren ein Muss. Doch die Männer hatten vorgesorgt. Als sie am 27. Juli 1872 um die Mittagszeit den ersten Seehund sichteten, genügte »ein Schuß aus einem Werndl-Karabiner«. Der Rest sollte zur Routine werden: Haut abziehen, zerlegen und zubereiten. Das Resultat: für volle drei Tage frischer und wohlschmeckender Braten.
Die Männer der Payer-Weyprecht-Expedition 1872-74 jagten, um sich mit Frischfleisch zu versorgen. © ANNO
Mit Eisbären machten es die Männer nicht anders, auch wenn sie, im Vergleich zu den Seehunden, größer und gefährlicher waren. Die Jagd auf Eisbären sollte nicht nur deren Überleben sichern, sondern sorgte für so manchen Leckerbissen. Jeder erlegte Eisbär wurde gefeiert. Übrigens, am 16. August 1873 war es Eisbär Nr. 24. Zur zeitlichen Orientierung, die Männer der Payer-Weyprecht-Expedition hatten am 13. Juni 1872 mit der Tegetthoff Bremerhaven Richtung Norden verlassen. Als etwa der Maschinist Otto Krisch (1845–1874) im Winter 1873 erkrankte, bekam er zur Genesung stärkende Kost. Das waren täglich drei Eisbärensteaks mit Pflaumen, letztere stammten freilich noch aus heimischen Gefilden.
Beim Festmahl zum Geburtstag von Kaiser Franz Joseph (1830-1916), der am 18. August im hohen Norden gefeiert wurde, machten mitgebrachte Speisen den größeren Anteil aus. Man ließ den Monarchen hochleben bei »Schildkrötensuppe, Krammetsvögel mit Mixed-Picles, Rennthierbraten mit Erdäpfel-Pierré, Hühner-Ragout mit Schnittbohnen-Salat, Mehlschmarn mit Pflaumen-Compot und Himbeer-Marmelade.«
Auch Träger müssen verpflegt werden
Wer Lebensmittel mitbringt, weiß, was er hat. Doch ganz so einfach war und ist das Mitbringen von Speisen auch nicht, vor allem der Transport stellt(e) eine enorme Herausforderung dar. Einblicke gewährt Günter Dyhrenfurth (1886–1975), Geologe, Bergsteiger, Himalayaforscher und Leiter der Internationalen Himalaya-Expedition (I.H.E.) des Jahres 1930. Sein Team bestand aus zehn, zeitweise elf Teilnehmern, mit dabei war auch Dyhrenfurths Frau Hettie. Sie war Sekretärin, Expeditionshausfrau und »Etappenkommandant«, als solche war sie zuständig für den gesamten Nachschub in den Hochlagern. Das Expeditionsteam reiste Ende Februar/Anfang März 1930 mit sechs (!) Tonnen Expeditionsmaterial via Venedig nach Bombay [heute: Mumbai]. Ausgangsort der Expedition war Darjeeling, ein beliebter Sommerfrischeort in Westbengalen, weithin durch den berühmten Tee bekannt. Im dortigen Everest-Hotel hatte Hettie Dyhrenfurth alle Hände voll zu tun: Sie musste 350 Traglasten für 350 Träger zu je 27 Kilogramm packen. Da aber jeder Träger auch verpflegt werden musste, im Schnitt mit einem Kilogramm/Tag, hatte er nicht nur die Traglast, sondern auch seine eigene Nahrung zu befördern. Der Anmarsch vom Darjeeling zum Basislager dauerte 18 Tage; die Milchmädchenrechnung ist einfach: 350 Kilogramm mal 18 Tage ergibt 6.300 Kilogramm. Sprich mehr als sechs Tonnen betrug das Gewicht der Verpflegung, die die Träger benötigten. Doch der Chef, Günter Dyhrenfurth, äußerte sich zur Trägerverproviantierung, die viel Kopfzerbrechen bereitete, positiv: »So ließen wir uns dadurch nicht unterkriegen.«
Hettie Dyhrenfurth hatte 1930 alle Hände voll zu tun, um die Versorgung der Internationalen Himalaya-Expedition zu organisieren. © Slg. Hofmann
Frau Dyhrenfurth, die ihre Erlebnisse im Buch Memsahb im Himalaja (Leipzig, 1931) festhielt, hatte, was Träger betrifft, noch ein besonders Erlebnis. »Ein junger Mann verehrte mich glühend, stellte sich immer dicht neben mich und sah mich bewundernd an.« Doch damit nicht genug. »Der stank aber gerade am allermeisten, es war einfach nicht auszuhalten.« Als Gegenmaßnahme schickte sie ihn mit diversen Aufträgen immer weg, doch das sollte nichts helfen: »[…] aber in Windeseile kam er zurück und stank weiter.« Wahrlich nicht beneidenswert!
Wenn Dosen Überraschungen enthalten
Eine Facette zur mitgebrachten Nahrung im Hochgebirge findet sich bei den Aufzeichnungen von Wolfgang Pillewizer (1911–1999), der 1954, die DÖHKE, die Deutsch-Österreichischen Himalaya-Karakorum-Expedition leitete. Auch er hatte einen Großteil der Verpflegung aus Deutschland mitgenommen und in München beim Packen gesorgt, dass keiner hungern musste. Am 20. August 1954 notierte er in seinem Tagebuch: »Wir haben viel zu viel zum Essen mit. Eine große herzförmige Schinkenbüchse, die bombiert war, habe ich angestochen, wonach der Schinken in halbflüssiger Form stinkend in 2 m hohem Bogen heraussauste. Wir sind eben 4000 m hoch.«
Mitgebrachte Dosen sicherten die Versorgung der Expedition und sorgten 1954 auch für Überraschungen im Karakorum. © Pillewizer-Nachlass
Überraschungspotenzial hatten Dosen somit allemal, sei es, dass man auch nur die Falsche öffnete. Das kam tatsächlich vor: »Schneider hat eine große Portion Nudeln mit Speck auf dem Benzinkocher gekocht und konnte natürlich nicht gleichzeitig Tee machen. Paffen ißt von den Nudeln kaum, bemängelt, daß kein Tee fertig ist und als wir dann noch eine Büchse Obst öffnen und es Preiselbeeren sind, da ist es ganz aus, denn die ißt ‚der Herr Forschungsreisende Paffen‘, wie ihn Schneider nennt, ja nicht! Ja, wenn man auf Expedition geht, muß man manches ertragen können, auch Nudeln und Preiselbeeren!« [28. Juni 1954]. Als Nudelkoch profilierte sich hier der Geologe Hans-Jochen Schneider (1923–2006); Karl-Heinz Paffen (1914–1983) – mit den ziemlich genauen Menüvorstellungen – arbeitete über Pflanzengeografie, Bodenkunde und Geomorphologie.
Thomas Hofmann
Thomas Hofmann studierte Erdwissenschaften an der Universität Wien, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und des BLOGS Wissenschaftsgeschichte(n) im Standard.at.
Sein aktuelles Buch »Abenteuer Wissenschaft. Forschungsreisende zwischen Alpen, Orient und Polarmeer« beschäftigt sich mit dem Alltag von Naturforschern, ob auf hoher See, im Polarmeer oder im Hindukusch. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der emotionalen, der menschlichen Seite der Forscher, bei ihrer Suche nach neuen Erkenntnissen. Das Buch steht auf der Shortlist zum »Wissenschaftsbuch des Jahres 2021« in Österreich. Das öffentliche Voting findet noch bis zum 11. Januar 2021 auf http://www.wissenschaftsbuch.at/ statt.
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Titelbild: Lagerfeuerromantik der Deutsch-Österreichischen Himalaya-Karakorum-Expedition 1954 mit einer Flasche Wein. © Pillewizer-Nachlass