Sebastian Castellio (1515–1563) – Dissidenz und Toleranz
Beiträge zu einer internationalen Tagung auf dem Monte Verità in Ascona 2015
Castellios Forderung nach religiöser Toleranz und sein Protest gegen Verfolgung und Tötung Andersgläubiger sind heute so aktuell wie 1554, als die Hinrichtung Michel Servets vor den Toren Genfs ihm den Anlass dazu gab. Im Zentrum des Sammelbandes steht Castellios anonymer Traktat Über Ketzer und ob man sie verfolgen soll im originalen Kontext. Er stieß Debatten über religiöse Toleranz an, die grundsätzlich für das Selbstverständnis der Protestanten und einer reformatio continua geblieben sind. Aktuelle Kontroversen über Religionsfreiheit und Grenzen der Toleranz handeln mit Argumenten, die Castellio populär gemacht hat. Die Handels- und Universitätsstadt Basel bot ihm beste Bedingungen für die Verbreitung non-konformistischer Ideen. Die Integration von Glaubensflüchtlingen, die das Recht auf Diskussionsfreiheit beanspruchten, war für den Basler Magistrat eine ähnliche Herausforderung wie die Eingliederung von Migranten und Asylanten in Deutschland und der Schweiz heute.
Castellios Appell zum Gewaltverzicht ist hochmodern. Er impliziert die Anerkennung moralischer Grundregeln, wie sie später in Naturrechtslehren und der Deklaration der Menschenrechte formuliert worden sind. Er zieht die Grenze religiöser Toleranz dort, wo religiöse Fundamentalisten ihre Vorstellungen mit Gewalt durchsetzen.
Auch Castellios übrige Schriften argumentieren für religiöse Toleranz, Willensfreiheit und Gerechtigkeit. Als Philologe bewunderte er Erasmus von Rotterdam. Wie dieser legte er eine neue Übersetzung der Bibel in klassischem Latein vor. Franzosen würdigen ihn wegen seiner französischen Bibelübersetzung als ihren Luther. Von diesem unterschied er sich allerdings durch seine Bibelauslegung, für die er allein die gesunde Vernunft als Sonde empfiehlt. Castellio hatte Verbindungen nach England, Frankreich und den Niederlanden, wo er zusammen mit Täufern wahrgenommen wurde.
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- Barbara Mahlmann-Bauer ist Professorin em. für „Neuere deutsche Literatur“ an der Universität Bern.
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