Hamsterrad Schule
Lösungen im Beratungsdreieck Eltern – Schüler – Lehrkraft
Im Kontext Schule gibt es eine große Bandbreite herausfordernder Situationen für Schülerinnen und Schüler. Sie reichen von nachlassender Leistung und Schwierigkeiten in der Lern- und Arbeitsorganisation über Unkonzentriertheit und Unwohlsein bis hin zur Schulverweigerung. Wird die schulische Problematik als personale Eigenschaft des Schülers/der Schülerin gesehen, entsteht neben einem Teufelskreis bei den Betroffenen das Gefühl, im Hamsterrad gefangen zu sein. Eine ressourcen- und lösungsorientierte Sichtweise auf Schulprobleme, die die sozialen Kontexte der beteiligten Personen (Eltern, Schüler/-in, Lehrkraft) und deren Beziehungsebenen untereinander berücksichtigt, verteilt die Verantwortung auf mehrere Schultern und eröffnet neue Wege bei der Lösungsfindung. Wie systemisch Beratende die Kommunikation und Kooperation des Dreiecks aus Eltern, Schüler/-in und Lehrkraft durch das Bereitstellen eines sicheren Rahmens stärken und alle Beteiligten auf dem Weg zu gemeinsamen Lösungen begleiten kann, zeigt Benedikt Joos anschaulich und praxisnah.
Konfliktpotentiale und Lösungsstrategien im Umfeld Schule
Was zeichnet eine erfolgreiche psychologische Intervention im Arbeitsfeld Schule aus und welche Rolle kommt dabei Schulpsychologen zu? Benedikt Joos, tätig an der schulpsychologischen Beratungsstelle in Aalen, stellt sich diesen Grundfragen aus der Perspektive der Praxis und gibt einen fachlichen und gleichzeitig sehr persönlichen Einblick in Konfliktpotentiale und Lösungsstrategien im Umfeld Schule. Während in den USA, aber auch bei unseren europäischen Nachbarn wie in Dänemark und der Schweiz das Aufgabenfeld „Schulpsychologie“ längst anerkannt und etabliert ist und sich an nahezu jeder größeren Schule Stellen und Beratungsangebote finden, fristet die psychologische Betreuung von Schulkonflikten und schulischen Problemen in Deutschland immer noch ein Schattendasein. Dabei leistet die Schulpsychologie einen bedeutenden Beitrag zur Gestaltung und Absicherung des wichtigsten Bildungsauftrags des Schulsystems: der altersgerechten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Der Autor kritisiert in seinem Buch „Hamsterrad Schule“ den oftmals einseitig defizitären Blick im Schulsystem, welcher das schulische Problem in der Person des Schülers bzw. der Schülerin verortet. Schüler werden so zu Problemschülern degradiert bzw. abgestempelt. Diese funktionale Betrachtungsweise greift jedoch laut Benedikt Joos zu kurz. Er schlägt vor, sich von dieser Objektfixierung zu lösen und stattdessen den „Lernort Schule“ als systemische Einheit anzusehen. Dies geschieht, wenn in der Beratung von Schulproblemen auch die Beziehungsebenen der beteiligten Personen (Lehrkräfte, Schülerinnen, Eltern) in den Blick genommen werden. Die Grundlage der Beratung liegt dabei auf Lösungsoptionen, Eigenpotentialen und Ressourcen aller Beteiligten. Kommunikationsprozesse und ihre offene Gestaltung bestimmen die Diagnose und geben den Beteiligten Selbstvertrauen in eigene Lösungskompetenzen. Der schulischen bzw. psychologische Berater, wie Joos in definiert, sieht sich selbst als neutralen Moderator, der im Idealfall einen Kontext erarbeiten kann, in dem die Akteure ihre Probleme selbstbestimmt und souverän ausagieren. Die Basis der alltäglichen Arbeit liefert der systemische Ansatz. Dieser setzt auf die Grundhaltungen Empathie und Wertschätzung, um individuelle und kollektive Lösungswege zu erarbeiten.
Es ist gerade die Einbettung der methodischen Herangehensweise und der fachlichen Grund-lagen in exemplarischen Fallbeispielen, welche der Streitschrift für ein verändertes Selbstverständnis von schulpsychologischer Beratung ihre Eindrücklichkeit und Lebendigkeit geben. Dabei ergeben sich überraschende Horizonte der Beratungsarbeit und ungewohnte, zum Nachdenken anregende Perspektivwechsel. Die Forderung nach einem (größeren) Einbezug psychologischer Konzepte in die Ausbildung von Lehrkräften, könnte vielen der täglichen Konfliktfelder im System Schule zielführend vorbeugen. Pädagogik sollte mehr sein, als ein Bündel von Methoden der Wissensvermittlung und die sozialen Interaktionen verstärkt in den Blick nehmen. Gelebte Schule benötigt motivierte und selbstverantwortliche Lehrkräfte, Schülerinnen und Eltern.
Fokus auf Lösungsoptionen und Aktivierung von Kompetenzen der Beteiligten
Wer schulpflichtige Kinder hat oder hatte, kennt das Szenario: überforderte Lehrkräfte, desinteressierte oder nervende Eltern und demotivierte Schüler. Statt einem Lernort finden sich die Betroffenen in einem Kreislauf aus Frustrationen. Leistungsdruck und persönliche Konflikte prägen den Gesamteindruck. Dies mag übertrieben erscheinen und die Situationsbeschreibung ist zugegebenermaßen einseitig und extrem. Daher hat mich der folgende Buchtitel angesprochen: „Hamsterrad Schule“. Hamsterrad, das bedeutet, auf der Stelle treten, nicht vorankommen und sinnloser Stress.
Der Autor ist als Schulpsychologe an einer Beratungsstelle tätig und schildert anhand von praktischen Fallbeispielen seinen Alltag in diesem Hamsterrad. Was das Buch wohltuend von den diversen Ratgebern abhebt, ist die Herangehensweise des Autors. Statt auf Funktionieren und Effektivität, blickt er auf Konflikte im Schulleben als Ausdruck einer fehlgeschlagenen Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren. Nicht der einzelne „Problemschüler“ hat Schuld am Dilemma. Nicht die Kinder und Jugendlichen und ihre scheinbaren Defizite stehen im Mittelpunkt. Keine Selbstoptimierungs- und Leistungssteigerungsanleitungen im Haifischbecken Schule. Statt auf Problemorientierung liegt der Fokus auf Lösungsoptionen und der Aktivierung von Kompetenzen der Beteiligten. Benedikt Joos hat keine Patentrezepte anzubieten, die ohnehin nicht im Alltag funktionieren. Er nimmt zunächst einmal alle Betroffenen und ihre Einstellungen und Wahrnehmungen ernst. Diese Empathie ist vielleicht das, was in der Praxis am meisten fehlt. Lösungen setzen das Reden über die Probleme voraus, ohne Hierarchien und ohne Tabus. Und alle Beteiligten müssen eingebunden werden und sich einbringen können. Dieser systemische Ansatz verbindet Schüler, Familien, Lehrkräfte und Schule und sieht vor allem die Potentiale, wenn sich diese als Partner statt als Gegner begreifen. In den Praxisfällen werden sich viele Eltern, aber auch Pädagogen, wiedererkennen. Der Schulpsychologe sieht sich hier nicht als Kriseninstanz, sondern als Moderator, der ein Klima der Kooperation schaffen möchte.
An deutschen Schulen führen die Schulpsychologie und die Schulsozialarbeit noch ein Schattendasein und werden noch nicht als das wahrgenommen, was sie sind: als wichtige Faktoren für ein Gelingen von Schule. Wer „Hamsterrad Schule“ gelesen hat, weiß, dass es auch anders gehen könnte. Problemsituationen sehen und nicht erst eskalieren lassen. Miteinander statt gegeneinander. Und vor allem miteinander reden. Ein Buch, das auch Mut macht.
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- Benedikt Joos
- Benedikt Joos, Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut (DGSF), arbeitet an der Schulpsychologischen Beratungsstelle in Aalen (Baden-Württemberg). Er ist Mitglied der International School Psychology Association (ISPA), des Landesverbands der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen in Baden-Württemberg (LSBW), der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Schwerpunkte seiner Arbeit sind...
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