Plötzlich war das Thema weg – Vom Entstehen eines Kommunikations-Ratgebers zwischen Corona und BlackLivesMatter

Helga B. Gundlachs Arbeit an ihrem neuen Buch »Rechte Parolen kompetent kontern. Ein Wegweiser für die psychosoziale und pädagogische Arbeit« befand sich im Endstadium, als die Covid-19-Pandemie zu massiven Einschränkungen des alltäglichen Lebens führte. Zeitgleich führte der Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch die Polizei zu weltweiten Protesten gegen Rassimus. Helga B. Gundlach lässt uns an ihren Gedanken teilhaben.

 

Ein Buch in Zeiten von Corona zu schreiben dürfte unweigerlich dazu führen, sich mit Corona in Bezug auf seinen Schreib-Gegenstand auseinanderzusetzen. Ein Buch unmittelbar vor Corona geschrieben zu haben, es dann während des Lockdowns vom Lektorat zurück zu bekommen und es für die letzten Korrekturen noch einmal durchzulesen, kann das zuvor Geschriebene, eben noch »Normale«, in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

In meinem Buch behandle ich diverse alltägliche berufliche wie private Situationen, in denen das Gegenüber rechte Äußerungen von sich gibt. Und nun geht es darum, wie können die Protagonisten – letztlich wir selbst – dem etwas entgegensetzen, was gelingt bereits gut, was ist weniger ratsam, was könnte man anders machen. Soweit so gut. Lernen anhand von praktischen Fallbeispielen. Doch auf einmal wirkten die Situationen vom Elternabend, vom Beratungsgespräch, von der Weiterbildungsgruppe, dem Gottesdienst, dem Betriebsausflug, der vollen U-Bahn, der Familienfeier seltsam fremd – wie aus einem früheren Leben. All diese Situationen gab es plötzlich nicht mehr.

Und eben noch in aller Munde: Attentate auf Politiker, auf Gläubige, auf zufällige Passanten, rechte Kundgebungen, Hetze im Netz, Einschüchterungen, die dramatischen Gewaltspitzen eines sich in der Gesellschaft immer breiter machenden rechten Eisberges. Die Corona-Berichterstattung überlagerte alles. Auch der Eisberg schien verschwunden zu sein.

Eine Frage der Zeit

Doch natürlich war das Thema nicht weg. Es war und ist nur eine Frage der Zeit. Ein Miteinander der Menschen in Präsenzform gibt es allmählich wieder, vielleicht etwas verändert. Inwiefern längerfristig verändert, das wird eine spannende Frage sein. Plötzlich fern wirkende Gesprächssituationen sind inzwischen zurückgekehrt oder werden es noch tun. Ich schob noch einige Sätze in das Vorwort ein und schrieb, dass sich viele der geschilderten Beispiele in ihren Strukturen auch gut auf Videokonferenzen oder sonstige neu entstandene digitale Formate übertragen lassen. Denn: Kommunikationsmuster wiederholen sich. Und das ist wesentlich, sie zu erkennen, zu entschlüsseln, für sich selbst stimmige Maßnahmen zu ergreifen.

Auch der rechte Eisberg tauchte wieder auf, bedrohlicher denn zuvor. Kein Tag vergeht, an dem nicht neue Auswüchse bekannt werden, die ihre Ursache in einem von viel zu vielen viel zu lange ignorierten rechten Denken unterhalb der Wasseroberfläche, im nicht sichtbaren Teil des Eisbergs,  haben. Nicht zuletzt durch Vorfälle in den USA wird auch hier endlich mehr über Alltagsrassismus gesprochen. Dabei ist die Hautfarbe nur ein Aspekt von Andersartigkeit, den rechte Gesinnung nicht zulassen will. Rechte gedankliche, verbale und schließlich auch physische Gewalt richtet sich gegen noch viel mehr. Und sie richtet sich letztlich gegen uns alle, gegen ein friedliches Miteinander. Doch zweifellos sind Menschen, die im Alltag rechte Parolen und Sprüche und oft noch wesentlich Schlimmeres immer wieder erfahren müssen, die, die am meisten leiden.

Dabei ist es vielen gar nicht bewusst, dass sie selbst durch Gedankenlosigkeit und Schweigen, Wegsehen und Weghören Rechten in die Hände spielen. Gerade in den angesprochenen Aufgabenfeldern, im psychosozialen wie pädagogischen Bereich, sollten wir ein besonderes Bewusstsein für unser Handeln, für unsere Vorbildfunktion aber auch für unsere eigene Angreifbarkeit haben. Gerade jetzt. Das ist nicht immer leicht. Manche trauen sich nicht, etwas zu tun, weil sie nicht wissen, was. Dazu möchte das Buch Sie ermutigen, Sie finden darin reichlich Handwerkszeug.
Nicht jeder rechte oder rassistische Spruch stammt von Personen aus dem rechten Milieu oder ist tatsächlich  rassistisch gemeint. Aber verletztenkann er trotzdem. Man kann auch nicht alles wissen. Aber man kann fragen. Und zuhören. Diese Verantwortung haben wir.

Unwissenheit, Ignoranz und positive Diskriminierung

Das Buch enthält eine Fülle von Beispielen: unbewusste, gedankenlose, schleichende, gezielte, aggressive – die ganze Palette. Ein (im Buch nicht enthaltenes) Beispiel ist mir vor dem Hintergrund der gegenwärtigen BlackLiveMatters-Demonstrationen sehr präsent. Es handelt von ungewolltem, unbewusstem Alltagsrassismus. Doch gerade das verletzt und trennt über Jahre, über Generationen und bietet genau den Boden, in dem rechtes Denken keimen und wachsen kann:

Ich gebe ein interkulturelles Training. Die Teilnehmenden sind in ihrer Freizeit aus eigenem Antrieb da. Das lässt eine offene neugierige Grundhaltung vermuten. Eine Grundvoraussetzung zur Selbstreflexion, zur Erlangung von Interkultureller Kompetenz. Nach einer Weile kommt unter einigen (weißen) Teilnehmenden das Gespräch auf und die Frage an mich, wie man nicht weiße Menschen wie Lisa (Name geändert), eine der Teilnehmenden, eigentlich korrekt bezeichnen solle, farbig, schwarz oder wie? Ich finde die Situation reichlich schräg und sage zu den anderen: »Warum fragt ihr mich? Fragt doch Lisa selbst.« Daraufhin: »Na gut, ja, Lisa, was sollen wir denn sagen?« Dazu Lisa, die zu Beginn der Fortbildung sehr engagiert aber in der Diskussion um ihr Äußeres still geworden war, kurz und knapp: »Ich bin schwarz.«  Hier hätte die Debatte enden können. Oder jemand hätte weiter fragen können: »Was bedeutet der Begriff »schwarz« für dich genau? Magst du dazu etwas sagen? Welche Bezeichnungen passen für dich nicht? Würdest du uns erklären warum?» Stattdessen prasselte auf Lisa ein Wortschwall nieder: »Aber das stimmt doch gar nicht. Du bist doch gar nicht richtig schwarz!« »Stimmt, mehr so schokobraun.« »Nein, eher kaffeefarben…« Unwissenheit und Ignoranz gepaart mit positiver Diskriminierung. Für Lisa war »schwarz« ein politischer Begriff, keine Farbnuance einer Getränkepalette. Lisa war bedient und der Rest hatte gar nicht gemerkt, wie kulturunsensibel das Verhalten gerade war, auch wenn es so nicht gemeint war. Da gab es dann einiges aufzuarbeiten… und zu lernen.

Lernen Sie. Reflektieren Sie Ihren eigenen Sprachgebrauch. Erkennen Sie Muster. Werden Sie sich ihrer Verantwortung bewusst. Probieren Sie sich aus. Unterstützen Sie Menschen, die Opfer von (un)gewollten Diskriminierungen werden, aber entmündigen Sie sie nicht. Suchen Sie Mitstreiter*innen.
Alles besser als (noch länger) gegen Rechts zu schweigen. Das Thema ist (leider) da.

Helga B. Gundlach ist Trainerin und Beraterin für Interkulturelle Kompetenz, Diversity und Interkulturelle Öffnungsprozesse sowie Dozentin für Kommunikation und Konfliktmanagement. Sie veranstaltet seit vielen Jahren Workshops zum Umgang mit rechten Parolen.

 

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