Selbstverständlich wollen die meisten Bürger auch möglichst gut über alles informiert werden, was in ihrem Land oder sonst wo auf der Welt geschieht. Vor allem geht es ihnen um das rechtzeitige Erkennen von Gefahren, die sie bedrohen. Dieses Bedürfnis kann um so besser gestillt werden, je breiter und vielfältiger ein dafür geeignetes mediales Informationsnetz aufgebaut und zur Verfügung gestellt wird. Es soll Nachrichten aus aller Welt liefern, rund um die Uhr, in Bild, Ton und Text, aktuell, zuverlässig und objektiv. Aber zu teuer darf es auch nicht werden, es soll sich am besten selbst finanzieren, durch Werbeeinnahmen. Wer die höchsten Abonnentenzahlen oder Einschaltquoten hat, ist dann zwangsläufig auch der beste Kunde für die Werbeindustrie. Und was fesselt die Aufmerksamkeit der Zuschauer, Zuhörer oder Leser mehr als der Bericht über eine sich anbahnende allgemeine Gefahr? Der Versuchung, Ereignisse, die sich irgendwo auf der Welt abspielen als große Bedrohung, womöglich für die gesamte Menschheit, darzustellen, ist unter diesen Voraussetzungen nur schwer zu widerstehen.
Um das Ausmaß der Bedrohung einschätzen zu können, werden Experten befragt. Am liebsten solche, die besonders gut deutlich machen können, wie gefährlich die jeweilige Situation und das betreffende Geschehen ist.
Schwer zu finden sind die nicht, denn es gibt genügend Wissenschaftler, die ein großes Interesse daran haben, der Bedeutung ihrer jeweiligen Fachdisziplin und ihrer eigenen Person durch einen entsprechenden Beitrag in den betreffenden Medien Nachdruck zu verleihen. Wissenschaftsdisziplinen und Experten, die sich mit Themen beschäftigen, die niemand interessieren, laufen ständig Gefahr, bei der Vergabe von Fördermitteln, Aufträgen und Projekten zu kurz zu kommen. Deshalb ist es für solche Experten nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, die von ihnen oder ihrer Disziplin erarbeiteten Befunde so darzustellen, dass deren Bedeutung für die Abwendung von Gefahren und Bedrohungen möglichst gut verstanden und wertgeschätzt wird.
Die ersten in der westlichen Welt verbreiteten Medienberichte über den Ausbruch einer Virus-Epidemie in der chinesischen Stadt Wuhan enthielten zwei Botschaften: Das Virus ist enorm gefährlich und die chinesische Regierung hat versucht, das zu vertuschen. Darauf reagierte die chinesische Regierung mit drastischen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie und versuchte der ganzen Welt zu zeigen, dass sie das Geschehen im Griff hat. Dazu gehörte auch der Bau eines Krankenhauses innerhalb weniger Tage. Als sich das Virus auch in Europa auszubreiten begann, gerieten auch die dortigen Regierungen unter den Druck der darüber verbreiteten Medienberichte. Sie suchten den Rat von Experten für Viruserkrankungen und folgten deren Vorschlägen zur Eindämmung der Epidemie. Die Medien verbreiteten ihrerseits wieder die Angst-machenden Lagebeurteilungen dieser Experten und illustrierten sie durch verstörende Berichte und Bilder aus überlasteten Krankenhäusern und Intensivstationen, zeigten mit dem Überleben ringende Patienten und mit Hilfe des Militärs abtransportierte Särge. Und täglich wurde der Bevölkerung der Anstieg von Neuinfektionen und die Anzahl der an oder mit Corona Gestorbenen vor Augen geführt. Damit war sichergestellt, dass die von den Regierenden verordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie von fast allen Bürgern als angemessen bewertet und widerspruchslos befolgt wurden.
Gerald Hüther
Im September erschien Gerald Hüthers neues Buch »Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen«.