Als im Jahre 1827 der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht mit dem Dorfpfarrer Heinrich August Wilhelm Meyer einen Vertrag über die Herausgabe einer griechisch-deutschen Ausgabe des Neuen Testaments in zwei Abteilungen sowie eines zweibändigen Kommentars zu den neutestamentlichen Schriften abschloss, war das für den Verlag eher ungewöhnlich und wagemutig. Meyer war weder ein ausgewiesener Wissenschaftler noch sonst in der Fachwelt bekannt. Der Pfarrer sollte mit je 25 Freiexemplaren der vier geplanten Bände und einer Pistole – d.h. fünf preußischen Reichstalern – pro gedrucktem Bogen entlohnt werden, ein eher bescheidener Lohn. Damals war noch nicht abzusehen, dass damit der Grundstein für das traditionsreichste Kommentarwerk der neutestamentlichen Wissenschaft gelegt werden sollte. Aus den anfangs geplanten 2 Bänden des KEK wurden im Laufe der Jahre schließlich 16 Bände, 1859 lag schließlich das Gesamtwerk vor.
Anerkennung auch im Ausland
Der Absatz der meisten Bände war zunächst langsam, aber stetig, auch wenn der Preis absichtlich niedrig gehalten wurde, um die Verbreitung zu erhöhen. Einzelne Bände verkauften sich dagegen von Anfang an gut und wurden schnell wieder aufgelegt. Vor allem aber war das Echo aus Fachkreisen ausgesprochen positiv, auch aus dem Ausland. 1873 erschien in Edinburgh eine englische Übersetzung des Kommentars, mit dem Meyer ein Vorbild für die Exegese des Neuen Testaments gegeben hat.
Mitarbeiter kommen hinzu
Da Heinrich August Wilhelm Meyer nicht nur mit anderen Aufgaben betraut wurde – er wurde Superintendent und Mitglied der Kirchenleitung in Hannover - sondern auch zunehmend gesundheitliche Probleme bekam, begann er ab 1846 geeigneten Mitarbeitern (Georg Conrad Gottlieb Lünemann, Johannes Eduard Huther, Friedrich Hermann Christian Düsterdieck) die Kommentierung noch fehlender Bände zu überlassen. Alle Autoren hatten in Göttingen studiert und waren von Friedrich Lücke, dem Göttinger Repräsentanten der Vermittlungstheologie, geprägt.
Der KEK wird zum großen Erfolg
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der erste große Erfolg der Kommentarreihe. Im Zeitraum zwischen 1860 und 1869 kamen 23 neue Auflagen des Meyerschen Kommentars mit insgesamt 46900 Einzelexemplaren heraus. Meyer selbst blieb trotz schwerer Krankheit bis zu seinem Tod 1873 ein unermüdlicher Arbeiter, der sein Lebenswerk sicherte, in dem er mit dem Verleger Carl Ruprecht aushandelte, dass der Verlag freie Hand in der Wahl der Bearbeiter von zukünftig erforderlichen Neuausgaben der Teilbände des Kommentars haben sollte, aber auch die Rechte der Erben Meyers materiell angemessen berücksichtigen würde. Nach Meyers Tod empfahl Albrecht Ritschl dem Verlag, den Neutestamentler Bernhard Weiß mit der Fortführung des Meyerschen Kommentars zu betrauen, der das Werk in die zweite Phase seiner Geschichte führte.
Ein fester Bestandteil im Verlagsprogramm
Der Kommentar blieb im Verlagsprogramm, betreut von zunächst Günther, dann Arndt Ruprecht, wurde über eineinhalb Jahrhunderte von hervorragenden Autoren und ab 1971 von den Herausgebern Ferdinand Hahn und danach Dietrich-Alex Koch aktuell gehalten. Zwischen 1948 und 1968, in denen die Exegese Tausende von Theologiestudierende und Pfarrer fesselte, wurde der KEK häufiger verkauft als in den 100 Jahren zuvor, dies war die zweite Erfolgswelle des „Meyer“. Mittlerweile sind nicht mehr alle Bände lieferbar oder teils nur noch in digitaler Form, der Kommentar bleibt dennoch ein wichtiger Meilenstein des Verlagsprogrammes.
2018 erschien der Band Der »Kritisch-exegetische Kommentar« in seiner Geschichte, der die Geschichte des KEK, seiner Autoren und seiner Beziehung zum Verlagshaus Vandenhoeck & Ruprecht von seinen Anfängen bis zur Gegenwart beschreibt und die wechselvolle Auslegung der neutestamentlichen Schriften aufzeigt.