Der Schutz von Kindern wird in vielen Ländern als eine wichtige und gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es entspricht dem – scheinbar allgemeingültigen – Wertesystem von uns Menschen, Kinder vor Gewalt zu schützen und sie in einem gesunden Aufwachsen zu unterstützen. Dieses Aufwachsen sollte selbstverständlich im natürlichen System Familie erfolgen. Gefordert sind daher in erster Linie die Eltern in ihrer Bestimmung, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und ihnen Geltung zu verschaffen. Die Gesellschaft sorgt dafür, dass Eltern ihre Verantwortung ernst nehmen und in der Förderung ihrer elterlichen Kompetenzen Unterstützung finden. Dafür schafft die Gesellschaft Strukturen und Orte der Mitverantwortung. Eine Trennung von Familie und Kind sollte nicht ohne Not erfolgen, aber es braucht auch jemanden, der den Eltern von Kindern in Not das Stoppschild zeigt.
Eine grundlegende Investition
Kaum jemand betrachtet das Anliegen ‚Kinderschutz’ aus wirtschaftlicher Perspektive, was auch gut ist. Es geht schließlich um den Menschen und nicht um ein Wirtschaftsgut. Würde man es jedoch tun, so würden nicht nur Pädagogen und Kostenrechner zu einem überraschenden Konsens gelangen. Denn wenn es gelingt, dieses verantwortliche Miteinander, so werden aus Kindern, die in ihrem Aufwachsen Schutz, Respekt und Wertschätzung erfahren starke Erwachsene, die genau diese Erfahrungen in ihren Lebensalltag einbringen und damit gesellschaftliche Entwicklungen prägen und – idealerweise – grundlegende Werte unseres Zusammenlebens sichern helfen. Der Kinderschutz ist somit mehr als nur eine Verantwortung gegenüber der Schutzbedürftigkeit kleiner Menschen: er ist eine grundlegende Investition in die Entwicklung einer jeden Gemeinschaft, die sich durchaus auszahlt.
Menschen für eine friedliche und mitmenschliche Gesellschaft
Was aber, wenn die Verknüpfung nicht ausreichend gelingt? Wenn wir diesen Gedankengang weiterspinnen, begeben wir uns in bedrohliche Gewässer. Denn für eine friedliche und zumindest im Ansatz mitmenschliche Gesellschaft brauchen wir starke Menschen. Wir brauchen sie nicht nur im kleinen alltäglichen Miteinander – wir brauchen sie auch und besonders in entscheidende Positionen einer Gesellschaft. Denn was geschehen würde, wenn in diese Positionen Menschen gelangen, die Werte wie Mitmenschlichkeit, Solidarität, Respekt und Würde mit Füßen treten, das hat uns die Geschichte in aller Deutlichkeit und leider all zu oft gezeigt. Menschen in machtvollen Positionen, die ihrer Verantwortung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft nicht gerecht werden, weil sie die dafür erforderlichen Kompetenzen in ihrem Aufwachsen womöglich nicht entwickeln konnten und sich der Verantwortung verweigern, haben ein großes Potential, gesellschaftliche Entwicklungen zu gefährden. Auf der Ebene des Kinderschutzes würde bei derartigen Wahrnehmungen – hoffentlich – eine entsprechende Gefährdungseinschätzung von Seiten der Fachleute erfolgen. In letzter Instanz kann dies dazu führen, dass Eltern aus der Verantwortung genommen werden – zum Schutz des Kindes.
Strukturen und Orte der Mitverantwortung
Wie aber sieht die Lösung auf der Ebene gesellschaftlicher und staatlicher Gemeinschaften aus? Welche Strategien werden benötigt, um eine Gesellschaft, ein staatliches Wertesystem vor Gewalt und Missbrauch von Führungspersonen oder sogar Staatsoberhäuptern zu schützen? In der Logik wäre auch hier die Trennung von Gesellschaft und Oberhaupt eine mögliche Lösung in letzter Instanz. Und im übertragenden Sinn braucht es auch hier Strukturen und Orte der Mitverantwortung. Wer mitdenkt, wird sofort sagen: Sie existieren doch! Zumindest in freiheitlichen Gesellschaftsformen finden wir Parlamente, Politiker, Parteien und Richter, die einschreiten können – im Rahmen einer Gefährdungsprüfung und zum Schutz der Gemeinschaft.
Verantwortung übernehmen und in Widerspruch gehen
Auch wenn der Vergleich zwischen Kinderschutz und Schutz der Gemeinschaft nicht sofort ins Auge sticht, so finden wir in beidem doch etwas Entscheidendes – und dieses Entscheidende macht den Unterschied aus zwischen Gelingen und Misslingen. Was Kinder und Gesellschaften brauchen sind mutige und werteorientierte Erwachsene – Menschen, die hinschauen und sich trauen, Verantwortung zu übernehmen und notfalls auch in Widerspruch zu gehen! Kinder brauchen Sozialarbeiterinnen, die einschreiten, LehrerInnen, denen sie vertrauen können, Nachbarn, die nachfragen. Gesellschaften brauchen Politiker, die ihre Verantwortung ernst nehmen und diese über Machtfragen und Parteigrenzen heben. Sie brauchen Menschen, die notfalls auch dem eigenen Parteifreund Donald sagen: Du gehst zu weit, ab hier spielen wir nicht mehr mit. Übernehme Verantwortung oder wir sorgen für deine Ablösung - zum Schutz unserer Gesellschaft und aus Gründen der nationalen Sicherheit.
Dipl. Sozialpädagoge Bernd Kasper, Autor von »Kindeswohl. Eine gemeinsame Aufgabe – Ein Leitfaden für Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit« ist seit über dreißig Jahren in betreuenden, leitenden und beratenden Positionen in der Jugendhilfe tätig. Er ist Fachberater für Pflegefamilien und ausgebildete Kinderschutzfachkraft. Seit 2012 ist er Lehrbeauftragter an der HAWK Hildesheim/Holzminden.