Wie starte ich ein schwieriges Gespräch

Von Isabel García

 

Ach, wenn Sie schon an dem Punkt sind, dann ist ja alles gut. Häufig fragen wir uns erst einmal: Soll ich es überhaupt ansprechen? Oder lasse ich das Thema einfach?

Ein Thema zu vermeiden ist eine gute Möglichkeit, solange es nicht wie ein großer, rosafarbener Elefant ständig – für Sie – sichtbar im Raum steht und Sie beim Gespräch krampfhaft versuchen, diesen Elefanten zu ignorieren. 

 

Ich bin immer wieder daran gescheitert

Es fühlt sich an, wie das Spiel TABU. Stellen Sie sich vor, Sie sollen über Ihr aktuelles Leben reden, werden gefragt, wie das letzte Jahr so war und auf der TABU-Karte stehen folgende Begriffe, die Sie auf gar keinen Fall verwenden dürfen: Corona, Freiheit, Reisen, Beruf, Familie.

So erging es mir, als mich Ende 2020 einige Freunde anriefen, mit denen ich schon lange nicht mehr gesprochen hatte. Wir merkten schnell, dass wir eine komplett andere Meinung zu der aktuellen Situation hatten und ich nahm mir fest vor, dieses Thema während dieses Telefonats nicht mehr anzusprechen. Doch es rutschte mir immer wieder raus, weil es einfach mein ganzes Leben beeinflusst hat: 

  • meinen Beruf, den ich kaum noch ausüben konnte,
  • meine familiäre Situation, weil ich meine Familie in Spanien nicht mehr so oft sehen konnte,
  • meine Freiheit und mein ehemals selbstbestimmtes Leben, denn dies ist einer meiner wichtigsten Werte, der aktuell in einem goldenen Käfig versauert,
  • meine Reisen und das damit verbundene Abenteuer, das ich zwar wie die Luft zum Atmen brauche, doch in diesen besonderen Zeiten nicht ausleben konnte,
  • und zuletzt Corona, das allgegenwärtige Thema, welches für diese einschneidenden Veränderungen in meinem Leben mitverantwortlich war und ist.

Selbst wenn meine Freundin – smalltalkmäßig – anfing über das Wetter zu reden, warf ich sofort ein, dass das Wetter in Norddeutschland grauenvoll sei und ich lieber in Spanien wäre, was aber nicht gehen würde, weil … ups … schon wieder der große, rosa Elefant.

 

Dann rede doch über den Elefanten

Mittlerweile fahre ich viel besser damit, alles an- und auszusprechen. Und zwar auf eine Art und Weise, die bestenfalls keine verbrannten Gefühle hinterlässt.

Zuallererst konzentriere ich mich auf die Neugierde. Ich denke mir: »Spannend. Wie kommt XY auf diese sehr andere Meinung?«

Wichtig ist bei dieser kleinen Aussage

  • das Wort »spannend«: Denn dies führt mich in die Neugierde und somit auf die gleiche Augenhöhe wie mein Gegenüber. Wenn ich von oben herab mit ihr oder ihm argumentieren würde, dann wäre das Scheitern des Gesprächs vorprogrammiert.
  • das Wort »anders«: Dieses Wort ist neutral wie die Schweiz. Die Meinung ist anders, aber eben nicht blöd, dumm oder gehirnamputiert. Auch dadurch behalte ich die Augenhöhe, bleibe in der Neugierde und schenke erst einmal meine volle Aufmerksamkeit meinem Gesprächspartner oder meiner Gesprächspartnerin.

Ich stelle der Person so lange Fragen, bis ich der Meinung bin, dass ich diese sehr »andere« Meinung nachvollziehen kann. Das bedeutet nicht, dass ich plötzlich dieselbe Meinung vertreten muss und ich überzeugt wurde. Ich möchte nur nachvollziehen können, wie die Person auf diese »andere« Meinung kommt.

Erst danach rede ich über meine Gedanken zu dem Thema.

 

Hilfreiche Worte wählen

Dabei achte ich darauf, dass ich sehr direkt ausspreche, was ich denke. Zum Beispiel: »Ich sehe das anders.« Oder: »Das überzeugt mich noch nicht.« Oder: »Ich sehe die Situation genauso wie du, komme aber zu einem völlig anderen Ergebnis.«

Diese Sätze können genauso klar ausgesprochen werden. Wobei ich immer mal wieder zu einem kleinen magischen Wort greife: »noch«. Dieses kurze Wort sorgt dafür, dass Sie alles aussprechen können und es trotzdem nicht zu einer Spaltung führt:

  • »Noch sehe ich das anders.«
  • »Das überzeugt mich noch nicht.«
  • »Ich sehe die Situation genauso wie du, doch noch komme ich zu einem völlig anderen Ergebnis.«

Ich kann sogar sagen: »Im Moment bin ich noch der Meinung, dass deine Ansicht Lichtjahre von der Realität entfernt ist.« Auch dies ist kein spaltender Satz, denn mein:e Gesprächspartner:in wird versuchen, mir noch einmal zu erklären, warum seine:ihre Ansichten eben doch sehr nah an der Realität sind.

 

Bei Lösungsansätzen schwammiger werden

Wenn ich nun überlege, wie eine Lösung oder eine gemeinsame Gesprächsbasis aussehen könnte, dann werde ich schwammiger und rede weniger direkt.

  • »Vielleicht wäre es doch besser, wenn wir über dieses Thema nicht weiterreden. Was meinst du?«
  • »Siehst du einen Weg, wie wir über dieses Thema sprechen können, ohne uns vielleicht doch noch zu verkrachen?«

In solchen Sätzen spielen die Worte »vielleicht«, »wäre«, »hätte«, »könnte«, etc. eine Hauptrolle. Natürlich sind diese Worte nicht gefragt, wenn Sie bei geschäftlichen Verhandlungen Ihren Preis oder Ihre Idee durchsetzen möchten. Doch hier geht es um schwierige Gespräche, bei denen Sie die gute Beziehungsebene nicht belasten wollen. Daher ist es eine völlig andere Ausgangssituation.

 

Bei Mutmaßungen noch schwammiger reden

Sobald ich ausspreche, was mein Gegenüber vermeintlich denken könnte, hole ich noch mehr Weichzeichner raus. Ich starte Sätze mit »Ich denke« oder »Ich fühle« oder »Könnte es sein, dass« …

Wenn ich nämlich sage: »Ich denke, dass dich dieses Thema so beschäftigt, weil so viele Menschen aus deiner Familie darunter leiden. Ich könnte mir vorstellen, dass dies den Beschützerinstinkt weckt. Zumindest wäre das bei mir so.«

Dieser Satz bietet keine Angriffsfläche. Die folgende Variante vom gleichen Satz allerdings schon: »Du bist auf das Thema so versteift, weil deine Familie darunter leidet. Da kommt der Beschützer in dir raus.«

Bei der letzten Aussage sind die Einwände vorprogrammiert: »Das hat doch nichts mit Beschützerinstinkt zu tun!« – »Ich bin nicht auf das Thema versteift.« – »Meine Familie leidet ja auch wirklich.«

 

Ups … die Emotionen kochen über

Falls selbst die beste Wortwahl inklusive entspanntem Tonfall zu einem emotionalen Ausbruch Ihres Gegenübers geführt hat, dann können Sie mit konkreten Fragen die Emotionen herunter kochen.

Häufig sorgen pauschale Aussagen für das Überkochen und vielleicht sagt Ihr Gegenüber:

  • »Du musst immer dagegenhalten.«
  • »Nie akzeptierst du meine Meinung.«
  • »Ständig musst du das letzte Wort haben.«
  • »Alle anderen sehen es genauso wie ich.«

Überhören Sie den verbalen Angriff und fragen Sie – so neugierig und sachlich wie möglich – nach: 

  • »Was meinst du genau mit ›dagegenhalten‹? Wann habe ich dies das letzte Mal gemacht?«
  • »Wann habe ich das letzte Mal deine Meinung nicht akzeptiert?«
  • »Wann genau habe ich zuletzt das letzte Wort gehabt?«
  • »Wer sieht es genauso wie du? Und wann hast du mit ihm darüber gesprochen?«

Es braucht manchmal drei, vier oder sogar sechs Konkretisierungsfragen, bis Ihr Gegenüber an den pauschalen Aussagen nicht mehr festhalten kann und sie wieder gemeinsam in einem konstruktiven Gespräch landen. Bleiben Sie am Ball.

 

Der letzte Joker

Wenn alles nichts hilft, dann überlege ich mir: »Will ich recht haben oder mich auf eine gute Stimmung konzentrieren?« Falls Sie sich dafür entscheiden, dass es Ihnen wichtiger ist, dass Sie, Ihr:e Gesprächspartner:in und das Gespräch an sich gut gestimmt sein darf, dann greifen Sie zum ultimativen Joker: Stimmen Sie zu.

Sagen Sie: »Stimmt. Die Situation ist gerade sehr belastend.« Oder: »Du hast recht. Wir stecken in einer Zwickmühle.« Oder: »Ja, ich finde auch, dass das Leben gerade sehr anstrengend ist.«

Damit stimmen Sie nicht genau der Meinung der anderen Person zu, aber Sie sagen Ja und verstärken dies mit einer allgemeingültigen Aussage. Denn wer findet die aktuelle Situation nicht anstrengend? Und wer hat nicht das Gefühl, dass wir uns in einer Zwickmühle befinden und diese besonderen Zeiten uns belasten? Diese Aussagen treffen auf alle Seiten zu. Egal, was jemand im Einzelnen denkt.

Und dabei belasse ich es dann.

Für heute.

Morgen … probiere ich es eventuell aufs Neue. 

 

Isabel García gehört zu den führenden Kommunikationsexpert:innen Deutschlands. Als ausgebildete Sängerin, Schauspielerin, Radiomoderatorin und diplomierte Sprecherin war sie schon einige Jahre erfolgreich, bevor sie sich dazu entschloss, andere Menschen beim Sprechen und Kommunizieren zu unterstützen. Denn ihre Überzeugung ist: Alle können erfolgreich kommunizieren, wenn sie sich selbst treu bleiben. Als Vortragsrednerin und Mentorin coacht sie andere und gibt im deutschsprachigen Raum Seminare im Bereich Kommunikation und Rhetorik.

 

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