Ich bin ein Durchschnittsmensch, ein uomo qualunque (beliebiger Mensch) und als solcher möchte ich auch beschreiben, wie „es“ im Alter ist, oder sein kann. Denn durchschnittlich heißt ja auch: irgendwie repräsentativ.
Aber repräsentativ wofür? Und Durchschnitt wovon? Bin ich ein durchschnittlicher alter Mann von heute? Ein durchschnittlicher Psychiater oder emeritierter Universitätsprofessor und -forscher? Ein durchschnittlicher Familienvater und Ehemann? Vielleicht ein durchschnittlicher Schweizer (oder vielmehr „Papierlischweizer“, wie mir der Spottname plötzlich durch den Kopf schießt, mit dem die echten Schweizer in meiner Jugend naturalisierte Ausländer wie mich zu betiteln pflegten)? Oder verkörpere ich vielleicht so etwas wie einen aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stammenden und merkwürdigerweise vom Krieg verschonten Westeuropäer, den es wider Erwarten noch weit ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein verschlagen hat?
All das stimmt ein Stück weit, nichts ist ganz falsch – und doch ist nichts von all dem einfach Durchschnitt. Der Durchschnittsmensch ist ein fiktiver Mittelwert aus allen nur möglichen Über- und Unterdurchnittlichkeiten. Jeder Mensch ist auf seine Weise einzigartig. Und somit bin auch ich „durchschnittlich einzigartig“. Und wie ich lebe und denke oder schreibe mag zwar in irgendeiner Weise repräsentativ sein – aber für etwas, das ich nicht genauer zu fassen vermag.
Luc Ciompi (*1929), Schweizer Psychiater, Schizophrenieforscher, Vorkämpfer für eine integrative Psychiatrie und Begründer der Affektlogik, wird neunzig. Er lässt uns teilhaben an einer Fülle von persönlichen, wissenschaftlichen und weltanschaulichen Reflexionen. Sie zeigen, dass auch das hohe Alter eine faszinierende Zeit voller unerwarteter Höhen und Tiefen sein kann. Alle bisherigen Beiträge von Luc Ciompi finden Sie hier.
Mein Weg mit der Schizophrenie – Ein Durchschnittsmensch
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