Leiten mit respektierter Autorität
Wie kann man als Führungskraft (Leitungskraft) dazu beitragen, dass Mitarbeitende engagiert und effektiv zusammenarbeiten? Was kann man dafür von weiblichen Führungskräften lernen? Wie führen sie und wie können sie sich in ihrem beruflichen Umfeld behaupten?
Auf den Tisch hauen oder diskutieren?
Viele Menschen in Führungspositionen denken, sie müssten sich von Beginn an auf eine Weise als zielstrebig und durchsetzungsfähig präsentieren, die dafür sorgt, dass ihnen „niemand auf der Nase herumtanzt“. Dafür bräuchten sie ein „positives Verhältnis zur Macht“: Wer sich Anordnungen widersetzt, muss mit Verlust von Privilegien, Geld oder dem Arbeitsplatz rechnen. Die machtvolle Durchsetzung scheint auf den ersten Blick schnell und einfach, ein Machtkampf kann jedoch einen hohen Preis haben, wenn die andere Seite unzufrieden oder widerständig reagiert. Wer droht, muss die Drohung gegebenenfalls wahrmachen und mit Blockaden und harten Auseinandersetzungen rechnen. Effizienz kann dabei verlorengehen. Auch eine hohe personelle Fluktuation kann die Folge sein, und viele Branchen können es sich nicht mehr leisten, Mitarbeitende zu verlieren, weil diese mit der Führungskraft nicht einverstanden sind.
Andere Leitungskräfte wiederum wollen auf keinen Fall autoritär auftreten, möchten alle Entscheidungen nach Auseinandersetzungen um das beste Argument und im Konsens fällen und schaffen mitunter eine „Kultur des unendlichen Diskutierens“. Auch nicht autoritär agierende Leitungskräfte übernehmen oft sehr viel Verantwortung und wollen Aufgaben lösen, ohne die Mitarbeitenden nach ihren Ideen zu fragen.
Autorität statt Macht
Wer eine leitende Funktion innehat, besitzt gewisse Einflussmöglichkeiten, die andere nicht haben. Führungskräfte übernehmen bestimmte Aufgaben. Zwischen ihnen und den Mitarbeitenden gibt es eine ungleiche Beziehung, die von den Beteiligten akzeptiert werden muss. Leitung kann mit Machtausübung funktionieren, wenn Mitarbeitende diese Form der Beziehungsgestaltung annehmen. Eine andere Möglichkeit der Einflussnahme ist gegeben, wenn jemand als Autorität respektiert wird. Mitarbeitende akzeptieren Impulse von anderen, weil sie etwas gewinnen und die ungleiche Beziehung als ausgewogen betrachten. „Ich nehme meinen Mitarbeitenden gewisse Aufgaben ab, dafür stehen sie hinter mir.“ Die Balance von Geben und Nehmen muss stimmen. Es gibt viele Gründe, Arbeit nicht nur wegen der Bezahlung zu tun. Es reicht nicht, jedem und jeder die „attraktivste Wurst vor die Nase zu halten“. Hilfreich sind zumindest ein guter Zusammenhalt in der Gruppe und in der Organisation sowie Vertrauen in die Führungskraft.
Autorität muss gewonnen werden. Mitarbeitende, die ihrer Leitungskraft Vertrauen entgegenbringen und sich an deren Vorgaben orientieren, verleihen ihnen Autorität. Sie ist getragen von einer grundsätzlichen Anerkennung, kann aber auch wieder verloren gehen. Die Leitungskraft ist zwar grundsätzlich hinterfragbar, aber ihre Entscheidungen werden nicht permanent in Frage gestellt. Sie bewegt sich zwischen Diskussion und Macht, richtet an ihre Mitarbeitenden mehr als eine Bitte und weniger als einen Befehl - weder das eine, noch das andere.
Neue Bilder von Autorität
Für Führungskräfte ist es wichtig, ihre eigene Funktion zu reflektieren und bewusst auszugestalten. Leitungskräfte, die sich vom alten Bild des Patriarchen als nicht hinterfragter Autorität lösen, können Entscheidungen treffen und auf andere Prinzipien zurückgreifen, die traditionell eher in der weiblichen Sozialisation angesiedelt waren, wie zum Beispiel: Sich kümmern und fragen. Und siehe da – das tut der Autorität keinen Abbruch, sondern stärkt sie. Erfolgreiche weibliche Führungskräfte erläutern in Interviews, auf welche Weise sie leiten und damit Vertrauen und Anerkennung gewinnen. Sie bringen ihren Mitarbeitenden nicht nur durch Worte, sondern auch durch aktives Tun Respekt, Anerkennung und Wertschätzung entgegen. Unter Wertschätzung verstehen Mitarbeitende, dass sich die Führungskraft dafür interessiert, wie sie ihre Arbeit verrichten, wie es ihnen geht und was sie im Gegenzug für ihren Arbeitseinsatz von der Organisation und der Leitungskraft erwarten. Die Leitungskräfte geben den Mitarbeitenden Orientierung und Sicherheit, sind nahbar und ansprechbar, hören zu und setzen sich auseinander. Und sie übernehmen Verantwortung, indem sie Entscheidungen fällen und den Mitarbeitenden damit Rückendeckung geben. Dafür nehmen sie im Vorfeld die Expertise und die Meinungen der Mitarbeitenden auf. Gleichzeitig verlieren sie ihren Organisationsauftrag nicht aus den Augen und lassen keinen Zweifel daran, dass bestimmte Aufgaben zu erledigen sind. Sie sind sowohl an den Mitarbeitenden als auch an den zu erledigenden Aufgaben orientiert und versuchen, etwaige Diskrepanzen auszubalancieren. Selbstverständlich können das nicht nur Frauen, sondern auch Männer, aber das Bild von Autorität wird oft mit dem des Mannes verbunden, der seine Ziele überaus selbstbewusst durchsetzt. Doch die hier beschriebene Art, mit Menschen umzugehen, ist heutzutage geeigneter, um Autorität zu gewinnen.
Leiten als Gartenarbeit
In einem Garten brauchen alle Pflanzen gute Bedingungen zum Wachsen und Gedeihen. Dies lässt sich auf die Arbeitswelt übertragen: Führungskräfte sorgen dafür, dass die Mitarbeitenden ihre Arbeit gut erledigen können. Sie müssen nicht selber die „Macherinnen“ und „Macher“ sein, sondern unterstützen die erfolgreiche Entwicklung von Potentialen. Wesentliche Voraussetzung für respektierte Autorität ist, dass die Führungskräfte mit ihrem Umfeld in einem dauerhaft guten Kontakt stehen und ein gutes Miteinander im Blick behalten. Sie können dafür förderliche Prozesse anstoßen und in Gang halten oder auch lediglich unterstützen. Sie sorgen für Arbeitsabläufe und für Kommunikationsstrukturen, die ein effektives Arbeiten ermöglichen. Sie klären, welche Entscheidungen von einzelnen getroffen werden und welche im Austausch. Sie sprechen relevante Themen an und moderieren Auseinandersetzungen so, dass Diskussionen ziel- und ergebnisorientiert geführt werden können. Lässt sich keine Lösung gemeinsam finden, kann ihre Entscheidung die Gruppe entlasten, sofern alle Betroffenen in irgendeiner Weise beteiligt sind.
Wenn man nicht spricht, dann wissen die anderen auch nicht, was man will
Führungskräfte gewinnen Autorität, wenn sie nicht nur für die Mitarbeitenden sorgen, sondern sich auch mit ihnen auseinandersetzen. Kontinuierliche Kommunikation kann aufwändig sein, doch die beharrliche Auseinandersetzung kann sich am Ende als der einfachere Weg erweisen. Ständig im Austausch zu sein bedeutet, Beziehungen zu pflegen, und ist nicht zu verstehen als Wohlfühlprogramm für die Mitarbeitenden, sondern als Schaffen der Voraussetzungen für eine optimale Leistungserbringung. Führungsarbeit erschöpft sich nicht darin, Arbeit zu verteilen, sondern die Leitungskraft muss Beziehungen aufbauen, im Blick behalten, wie die Zusammenarbeit in der Organisation funktioniert, und eingreifen, wenn sich Klärungsbedarf zeigt. Dazu muss sie nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Konflikte besprechen und moderieren. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Viele Führungskräfte lassen ihre Mitarbeitenden mit Konflikten allein, weil es sie Überwindung kostet, diese zu thematisieren. Aber es gehört zu ihren Aufgaben.
Platz nehmen
Wer anderen Autorität zuerkennt, gestattet ihnen Einfluss auf die eigenen Meinungen oder zumindest auf das eigene Verhalten, ohne dabei taktierend vorzugehen. Weibliche Führungskräfte berichten, dass es für sie besondere Schwierigkeiten birgt, sich auf bestimmten Ebenen durchzusetzen und sich Autorität zu verschaffen, wenn sie sich nicht an Machtspielen beteiligen wollen. Mit einer gewissen Distanz beobachten sie, wie in Männerrunden häufig erst einmal Ränge geklärt werden, bevor es an Sacharbeit geht. Besonders weibliche (natürlich auch einige männliche) Führungskräfte orientieren sich eher an Inhalten und versuchen sich durchzusetzen, indem sie beharrlich ihre Fachkompetenz einbringen und erfolgreiche Arbeit leisten. Dazu gehört auch, sich darum zu kümmern, dass ihre Erfolge sichtbar sind, und oft ist es erforderlich, bei anderen Unterstützung zu suchen, sich den eigenen „Platz zu nehmen“ und die eigene Position zu behaupten. Manchmal gehört auch dazu, „mitzuspielen“, wenn man etwas durchsetzen will. Diese Strategie schreckt besonders Frauen davon ab, eine Führungsposition zu übernehmen.
Lust auf Leitung
Es gibt viele Motive, aus denen heraus Menschen eine Leitungsfunktion übernehmen. Frauen entscheiden sich häufiger als Männer gegen eine Führungsposition, weil die Vereinbarkeit von Familie und Karriere für sie schwerer zu realisieren ist und weil sie hohe Ansprüche an sich stellen und meinen, einer Aufgabe nicht gerecht werden zu können. Da braucht es Vorbilder und Geschichten, die Lust machen, die Leitungsaufgabe mit Mut und Ideen anzugehen. Gerade für Frauen ist es wichtig, weibliche Vorbilder zu haben, aber nicht nur für sie. Gut, dass es erfolgreiche Vorbilder dafür gibt.
Dr. Gisela Klindworth ist Diplom-Pädagogin und Soziologin. Sie arbeitet als Trainerin, Coachin (SG), Supervisorin, Organisationsberaterin und Lehrende für Organisationsentwicklung (SG). Sie war acht Jahre als Geschäftsführerin eines Fachverbandes tätig und lebt in Berlin.
Das wurde auch mal Zeit
Ich finde schon den (Unter-)Titel des Buches unglaublich treffend. "Mehr als eine Bitte, weniger als ein Befehl". Toll.
Ich arbeite in einem nach wie vor vorwiegend männlich geleiteten und dominierten Unternehmen (Automobilbauer). Die Abteilung Diversity und Frauenförderung hat einen hohen Stellenwert und arbeitet sehr intensiv daran, den Anteil der Frauen, nicht nur in der Führung, sondern auch in der Belegschaft zu erhöhen. Nach wie vor haben es die Frauen, die es "schaffen", allerdings schwer. Die Anerkennung ist hart erarbeitet und teilweise wird sie dadurch erreicht, dass "männliche" Attribute übernommen werden (auf Seminaren wird den Frauen sogar geraten, eine männliche Mimik und Gestik zu imitieren, um den Respekt des Gegenübers schon so zu beeinflussen). Es gibt natürlich auch weibliche Führungskräfte, die das Konzept, das wir in Frau Dr. Klindworths Buch so wohltuend nachlesen können, geradezu verkörpern (meine Chefin, die in meinen Augen überragend ist), aber diese Frauen haben es immer noch deutlich schwerer, in der Männerwelt zu dominieren. Meine Vorgesetzte schafft das ganz ausgezeichnet und ich hoffe, dass möglichst viele Menschen (sowohl Männer als auch Frauen können hier lernen) dieses Buch lesen und sich daran orientieren. Danke, Frau Dr. Klindworth!