Kleiner KrisenKompass: Auf Verbundenheit setzen

Wie kann ein gelingendes Leben in unsicheren Zeiten aussehen? Rainer Zech hilft, Krisen persönlich einzuordnen und den Fokus wieder auf die eigentlich wichtigen Dinge zu richten.

 

Nicht nur Corona, auch die Angst vor den Konsequenzen des Klimawandels, von Finanz- und Demokratiekrisen treibt viele Menschen um: Warum werfen uns solche Themen auch mal aus der Bahn?

Bisherige Krisen (z. B. Finanzkrise oder Euro-/Griechenland-Krise, Stürme oder Hunger in der Welt) waren weit genug vom eigenen Leben weg, damit man sie noch gepflegt ignorieren konnte. Aber Corona, der Klimawandel und auch die Überschwemmung im Ahrtal und in Rheinland-Pfalz haben uns unsere leibliche Verletzlichkeit spüren lassen; sie bedrohen unser Leben, sind uns buchstäblich auf den Leib gerückt.

 

Radikalisierungstendenzen in Gesellschaft und Politik lassen sich an vielen Stellen beobachten: Wo bleibt da die Würde des Lebendigen und wie kann man sie retten?

Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine kurze Antwort geben kann. Wenn ich es doch versuche, sähe sie in etwa so aus: Mit der beginnenden Neuzeit (schon bei Descartes) hat sich das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt und zu ihrer eigenen Natur verändert. Ich und Welt werden jetzt nicht mehr als verbunden erlebt, sondern als getrennt.

Der Mensch der Neuzeit ist seiner eigenen Natur entfremdet und wendet die Kälte, die er jetzt erlebt, gegen sich, gegen die anderen, gegen die Tiere, gegen die Natur – alles ist nur noch Mittel der Ausbeutung für die eigene Existenzerhaltung. Dass die neoliberale Konkurrenzökonomie maßgeblich zur gesellschaftlichen Kälte beigetragen hat, ist inzwischen auch unbestritten. Die eigene Würde und die Würde des Lebendigen sind nur dadurch zu retten, dass wir ein neues Selbstverhältnis entwickeln, dass nicht auf Trennung, sondern auf Verbundenheit beruht.

 

Was benötigen wir aus Ihrer Sicht, um erfüllter und gelassener durch das Leben zu gehen?

Wir sollten das Aufhören lernen, nicht nur das Immer-weiter-so-Machen unreflektiert verlängern. Vor allem den Wachstumsfetischismus müssen wir beenden und verstehen, dass gutes Leben eine qualitative und soziale Angelegenheit ist, keine quantitative. 2021 war das Jahr, in dem die menschenproduzierte tote Masse die gesamte Biomasse der Erde quantitativ überholt hat. Ist das nicht gruselig?

 

Welche Frage hätten Sie noch erwartet, was möchten Sie uns gern noch mit auf den Weg geben?

Vielleicht sollten wir auch über unsere Art des Arbeitens reden. In der gesamten Menschheitsgeschichte bis zur Neuzeit wurde Arbeit als Notwendigkeit, wenn nicht sogar als Übel und Qual verstanden. Man arbeitete, um zu leben.

Heute hat man den Eindruck, die Menschen unserer so genannten westlichen Welt lebten, um zu arbeiten. Der Arbeit wurde einerseits ein Selbstverwirklichungsversprechen untergeschoben, andererseits erleben wir, dass sie in vielen Fällen nur erschöpfend ist und die arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen (Burnout) epidemisch werden. Vielleicht sollten wir uns daran erinnern, dass Leben auch Genuss bedeutet, und unsere Arbeitsethik mehr in Richtung auf eine Ethik des Lebens erweitern.

 

Weitere Beiträge zu unserem Kleinen KrisenKompass finden Sie hier.

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