Dirk Purz setzt sich damit auseinander, wie der Umgang mit Regeln und Vorschriften im Alltag gelingt und warum sie für unser Zusammenleben so wichtig sind.
Die Coronavorschriften nerven, einmal Einschränkung, einmal Lockerung, niemand blickt mehr durch: Warum machen Verbote uns langsam mürbe oder sauer?
Die Antwort auf diese Frage ist schon in der Formulierung der Frage gegeben. Das Hin und Her und die Unklarheit über die Bedeutung der Verbote verärgert die Menschen.
Wenn ich schon Verbote erhalte, dann sollen diese klar, eindeutig und präzise sein. Dann kann ich mich darauf einstellen und versuchen, sie in meinen Alltag zu integrieren. Wenn dann temporär ein Verbot aufgehoben und zu einem anderen Zeitpunkt wieder eingesetzt wird, kann ich mich damit auch arrangieren.
Ein ebenso wichtiges Kriterium ist die Sinnhaftigkeit der Verbote. Und leider traurig, aber wahr: Ich muss darin für mich einen Nutzen sehen. Verbote nur um der anderen willen einzuhalten, erscheint in einer »Ich-Gesellschaft« nicht praktikabel.
Und: »Es wird schon nichts passieren, es ist noch immer gut gegangen, so schlimm kann es doch gar nicht sein …« Wir beruhigen uns gern mit solchen Sätzen. En gros rechnen wir alles herunter. Erst wenn eine Situation oder Gefahrenlage bei uns so als gefährlich eingeschätzt wird, dass dieser innere Prozess nicht mehr gelingt, schreien wir geradezu nach Verboten, die helfen sollen, der Lage Herr zu werden.
Gibt es Strategien, wie wir in diesen Zeiten am besten mit Regeln und Geboten umgehen, wie wir eine Haltung ihnen gegenüber entwickeln, die uns gut tut?
Nach zwei Jahren wird es Zeit, dass wir uns darüber bewusst werden, wie wir uns mit dem Coronavirus dauerhaft arrangieren werden. Wie alle Expert:innen übereinstimmend feststellen, handelt es sich nicht um eine Episode, sondern um eine langanhaltende Problematik. Das wird zur Folge haben, dass zur winterlichen Jahreszeit Regulierungen notwendig werden.
Damit ist der erste wichtige Schritt vorgezeichnet, um eine Haltung zu entwickeln, nämlich der, dass es unvermeidlich ist, eine zu entwickeln. Dauerhaft erscheint es unumgänglich, dass ich als Einzelperson mich zur Coronalage positioniere. Als hilfreich erweist sich dabei die sogenannte Goldene Regel, die besagt, dass ich andere so behandle, wie ich gerne selbst von anderen behandelt werden möchte.
Diese Regel stellt mich in einen sozialen Kontext und verdeutlicht, dass mein Handeln nicht im freien Raum geschieht. Gleichermaßen ist sie sehr ehrlich. Sie ist kein Automatismus und kein quid pro quo. Ich muss also aushalten, dass ich das von mir eingebrachte Verhalten nicht unmittelbar zurückerstattet bekomme.
Trotzdem ist aus meiner Sicht diese Regel eine gute Basis, um eine Haltung gegenüber mir und meinen Mitmenschen und damit auch hinsichtlich der Coronamaßnahmen zu entwickeln.
Was ist Ihre Lieblingsregel oder -vorschrift aus den letzten Monaten und warum?
Von einer Lieblingsregel zu sprechen, erscheint mir nicht möglich. Verbote werden wohl grundsätzlich nicht »geliebt«, denn eigentlich wollen wir über uns selbst bestimmen und unser Leben selbst »regeln«. Darum werden wohl die Verbote am ehesten eingehalten, die unsere Akzeptanz erlangen.
Anerkennung erhalten Verbote dann, wenn viele verschiedene Faktoren zusammenpassen. Zum einen müssen wir die Verbote als hilfreich, beschützend, nützlich und machbar einstufen. Dann braucht es die Zustimmung zu denjenigen, welche die Verbote aussprechen und erlassen. Sie müssen als kompetent und sozial eingestuft werden und nicht unter den Verdacht fallen, dass sie dadurch einen persönlichen Nutzen haben. Last, but not least dürfen wir uns bei der Einhaltung der Verbote nicht ständig gegängelt fühlen. Sie müssen in unser Leben integrierbar sein und schnell zur »Normalität« werden.
Das sind aus meiner Sicht in der Coronazeit die AHA-Regeln gewesen. Mit wenigen Beschwernissen ist es möglich, Abstand zu halten, mir regelmäßig die Hände zu waschen und trotz Brille eine Maske zu tragen. Die Maskenpflicht hat sich durchgesetzt und der Gewöhnungsprozess ist sehr schnell von statten gegangen.
Welche Frage hätten Sie noch erwartet, was möchten Sie uns gern noch mit auf den Weg geben?
Ich hätte mich über die Frage gefreut, ob es ein Leben ohne Regeln und Verbote gibt. Meine Antwort darauf ist ein klares Nein. Im gemeinsamen Leben, ob in der Natur oder unter Menschen, benötigen wir gegenseitig akzeptierte Verabredungen, wie wir uns verhalten. Es mag ja noch trivial klingen, dass wir nicht in der zweiten Reihe parken und so den Verkehrsfluss behindern, aber spätestens, wenn es darum geht mit 80, 90 und mehr Stundenkilometern durch die Stadt zu fahren, ist das Leben von Menschen hoch gefährdet.
Aber es geht auch darum, dass wir zu verabredeten Zeiten zur Arbeit oder in der Schule erscheinen, um gemeinsam Aufgaben bewältigen oder lernen zu können.
Über gemeinsame Abmachungen hinaus treffen wir auch Regelungen für uns selbst, die wir aus freien Stücken einhalten. Pensionierte Personen organisieren mit ihrer Hilfe ihren Tagesablauf, damit sie Orientierungspunkte für sich selbst haben. Andere verbieten sich den Verzehr von tierischen Produkten und leben vegetarisch oder vegan oder verzichten auf den Kauf von Produkten, deren Hersteller durch unsoziale Personalpolitik auffallen oder rechtsradikale Parteien unterstützen.
Regeln helfen und unterstützen uns, unserem Alltag Struktur zu verleihen, uns zu profilieren oder uns zu positionieren. Nur wenige können anarchisch leben und völlig darauf verzichten.
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