1. Impuls C – CHANCE
2. Impuls O – ORDNUNG
3. Impuls R – RESILIENZ
4. Impuls O – OPTIMISMUS
5. Impuls N – NACHHALTIGKEIT
6. Impuls A – ALTERNATIVEN
»Plane das Schwierige da, wo es noch leicht ist!
Tue das Große da, wo es noch klein ist!
Alles Schwere auf Erden beginnt stets als Leichtes.
Alles Große auf Erden beginnt stets als Kleines.«
Lao-Tse
Lenken wir den Blick auf die Wahrnehmung, die Erkenntnis, die Verarbeitung und die Auswirkung sowie die erweiterte Beeinflussung von Alternativen in ihrem jeweiligen Spektrum auf den Fokus des „anders“.
Der Begriff Alternative birgt in sich neben alter (lat. „andere-r/-s) auch alternus (lat. „abwechselnd, einer um den anderen“).
Schon allein die Vorstellung von einem „anders“ zieht in unserem Denken kleine Mikro-Veränderungen nach sich, erweitert und weitet (Denk-Spiel-)Räume. Zumal unser Gehirn nicht zwischen der Vorstellung einer Sache und ihrer Durchführung unterscheiden kann. Der Gedanke, dass es ein „Anders“, eine Alternative überhaupt gibt, verändert uns also bereits, ohne dass wir dementsprechend schon gehandelt haben müssen. So ist ein anderes Denken die Quelle vieler Veränderungen. Die Ergebnisse bleiben nicht aus und bilden die Grundbausteine für einen nächsten praktischen Schritt „So-tun-als-ob XY einmal ganz anders wäre“:
- anders sehen,
- anders denken und fühlen,
- anders betrachten und erkennen,
- anders reden und handeln,
- anders stark und innovativ sein für die Zukunft,
- anders den Übergang meistern,
- anders positive Immun-Antworten geben.
Anders sehen
Ein bisschen anders zu sehen bedeutet auch anders wahrzunehmen oder umgekehrt. Mit unserem Sehen und sich auch einmal Drehen und Wenden ändert sich der Blickwinkel und damit beginnt der Perspektivwechsel. Es rücken andere Aspekte in das Sichtfeld. Erlaube ich mir, so zu tun, als ob ich ein Vogel sei, kann diese Wahrnehmung aus der Höhe in einer größeren Distanz zusätzlich bereichern, um sich ein Problem einmal aus dieser Entfernung anzusehen.
Noch heute beeindruckt mich das Ereignis, als ein über mir fliegender großer Adler kurzfristig so die Sonne verdeckte, sodass ich ein paar hundertstel Sekunden im Schatten saß. Das gab mir späterhin den Impuls, in einer äußerst kritischen Situation meine Sichtweise einmal kurzfristig in eine solche Adlerposition zu manövrieren, mit einem für mich erstaunlichen Ergebnis. Ich möchte das Beispiel für folgende Fragen heranziehen und nutzen:
- Was mag ich wohl aus einer Adlerposition wahrnehmen, wenn ich auf mich und mein jetziges Leben schaue?
- Bin ich mit mir und meinem kleinen Leben und seiner Ausrichtung noch auf der richtigen Spur?
- Oder sollte ich noch etwas verändern, verfeinern oder korrigieren, das mir und meiner Vorstellung von einem erfüllten Leben mehr entspricht?
- Und wenn ja, was?
- Und wenn nicht jetzt, wann dann?
In den Tagen des ersten Lockdowns waren mir verstärkt Gedanken über Bäume eine große Bereicherung und Stärke.
So sinnierte ich eines Tages in der Grünfläche außerhalb der Stadt an meinem Stammplatz darüber (unter Beachtung der Sicherheitsmaßnahmen!), dass dieser eine Baum dort hinten die Corona-Pandemie schlichtweg nicht erschüttern würde und sie ihm – im Bild gesprochen – „regelrecht an der Rinde vorbei geht“. In diesem Moment beneidete ich ihn ein wenig und gleichzeitig irritierte mich dieser Gedanke. Weshalb? Weil er letztlich zu meinem derzeitigen starken Wellengangmodus passte, denn ich empfand so Vieles als eine mächtig herausfordernde Arbeit, mit dieser außergewöhnlichen Situation angemessen umzugehen. Das machte nicht nur mich so betroffen, sondern auf meinem Weg, es einigermaßen vernünftig unter die Füße zu bekommen, kamen mir das Leid und die Tränen und die Verzweiflung von lieben Mitmenschen im privaten als auch im beruflichen Feld mit in den Sinn.
Momentan war ich ohnehin in alledem mit einer besonders geschärften und aufmerksamen Suchhaltung nach Schönem und Erbaulichem unterwegs. Dabei half der Anblick von sprießendem Grün, meine Gedanken behutsam auf eine andere Sichtweise zu lenken hin zu einem positiven Energiefeld, mit dem Motto und Aufruf an meine wunde Seele: „Ich sehe deine Traurigkeit und Zeitlosigkeit, doch das Leben geht weiter!“ Die Wirkung dieser Gedanken ließ nicht lange auf sich warten und allmählich vollzog sich eine innere Wendung meiner unguten Sichtweise. Die jetzige Perspektive führte mich in feinen Nuancen zu einer binären „Wenn-dann-Logik“. Sie lenkte meinen Fokus auf den Baum als Beispiel. Das verhalf mir zu einer Dynamik, vom Allgemeinen und Negativen wegzudenken, um es danach zu übertragen auf mein kleines bescheidenes Leben – unterfüttert mit dem emotionalen Hoffnungsschimmer: „Wenn du schöner Trauerweidenbaum X kannst, dann kann ich es auch!“ Das hieß für mich im analogen Sinn in einem neuen Motto: „Deine Beständigkeit im Standhalten verbunden mit einer Flexibilität (jedes Jahr neu zu Grünen und je nachdem zu blühen), die Veränderungen zulässt – das könnte ich auch hinkriegen!“
Ich weiß, das Beispiel hinkt ein wenig. Durch das für mich fantasievolle Zurechtbiegen vergaß ich in diesem Gedankenkarussell für einen Moment die durch die verschiedenen Einschränkungen in den letzten Tagen und Wochen farbloser gewordenen Bilder meines Alltagsund die mit im Huckepack dadurch ausgelösten und bedrängenden negativen Gefühle. Plötzlich – wie durch einen Regenbogen abgelenkt – kam wieder Farbe ins Spiel und die Schwere und Belastung meiner Gedanken wurde etwas leichter. Sogar die Verwirrung über ständig unterschiedliche und teils widersprüchliche Informationen, die man selbst ja auch gar nicht so richtig auszuwerten wusste und einen wiederum teilweise verwirrte, rückte für einen kleinen Augenblick in den Hintergrund. Ja, ich spürte in mir, dass sich meine Stimmung ein bisschen hob und ich ein wenig öfter und wieder tiefer durchatmen konnte. Eine wohltuende Gelassenheit breitete sich aus und nahm in mir Platz. Hatte mir dieser Baum auf indirekte Weise etwas – Alternatives – gezeigt und mir den Anstoß gegeben, wegzusehen von teils unlogischen Gedanken? Hatte er mir als Teil unseres gemeinsamen Schöpfungssystems etwas von seiner Weisheit abgeben, um mir einmal etwas anderes zu denken zu geben? Unweigerlich musste ich bei diesem Gedanken lächeln.
Tags darauf sprach mich ein etwa 20-jähriger Mann an. Er saß ein paar Meter von mir und meinem Stammplätzchen entfernt: „Entschuldigung, darf ich Ihnen eine Frage stellen?“ Verwundert sah ich – neugierig geworden – von meinem Buch auf, denn in dieser Zeit wurde man nicht mehr so schnell angesprochen und kam so eben mal miteinander ins Gespräch. Über unsere Masken hinweg trafen sich unsere Blicke, ich sah in seine dunkelbraunen Augen und sagte zu ihm – freundlich zugewandt mit einladendem Tonfall und minimalistisch wortkarg reduziert: „Ja?“ Er nahm meine Einladung an und fuhr fort: „Der Baum da drüben, den kümmert doch das alles nicht, oder?“ Ich musste unweigerlich grinsen, denn plötzlich wurde mein Gedankenexperiment von gestern und genau mit diesem (meinem) Baum in mir hochgeholt, und ich sagte ein wenig mit jovialer Stimme unterlegt und im Brustton voller Überzeugung: „Stimmt, das denke ich auch!“
Mir wurde es warm ums Herz und ich freute mich innig über diesen Hauch einer so wohltuenden Begegnung: ein Wärmestrahl von einer kleinen, geistig-empathischen Verbundenheit innerhalb unserer – als so asozial empfundenen und doch notwendigen – angeordneten Verhaltensregeln.
Wohl verändert sich ein Baum während seines Lebens in seiner Struktur, Größe und Gestalt. Er bleibt – natürlich – an Ort und Stelle verwurzelt, dort, wo vorher das eine kleine Samenkorn hingefallen war, keimte, wuchs und sich weiterentwickelte bzw. wo er als Setzling hingepflanzt wurde. Der Anblick eines Baumes und die mit ihm assoziierte Beständig- und zeitgleich Veränderlichkeit sind eine Wohltat. Sie wirken wie Balsam für die empfindsame und mittlerweile fast ausgetrocknete und durstige Seele, die sich im Lockdown wie in einem Gefängnis eingeengt empfand.
Ein weiteres Beispiel: Um mir die Möglichkeit eines anderen Sehens im „Als-ob“ und meinem Horizont eine Erweiterung zu geben, plane ich bewusst, hier und da einen Tag als Touristin durch meine Stadt zu gehen. Dabei erkunde ich mit frischer, unverborgener Neugier Seitenstraßen und Nebengässchen, gehe in Lädchen einer mir fremden Kultur, kaufe dort eine Kleinigkeit oder anschließend im Touristenshop noch ein kleines Andenken für mich.
Meine Innen- und Außenperspektive erlebt dadurch ein 360-Grad-Drehmoment und in einem solchen Rundumschlag ein erneutes Checken von Bekanntem als auch ein Erschließen von bisher mir Unbekanntem. Da kreuzen sich Wege mit fremden Menschen und ich komme zufällig „tourimäßig“ mit ihnen ins Gespräch oder aber ich suche gezielt auf einer Tour den Dialog mit Menschen, wie bei einem Gothic-Treffen: Ich fragte mich, wie diese Menschen wohl denken und was sie veranlasst, sich so zu kleiden. So ließ ich mir von einem Teilnehmer in historischer Kleidung seine Denkweise und seine Motivation für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe erklären. Eine neue Welt tat sich mir auf: beruflich ging er montags bis freitags seiner Beamtentätigkeit nach und am Wochenende schlüpfte er in „seine Rolle“ und schlief in einem Sarg.
Anders sehen, den anderen Menschen anders sehen – in seinem Kontext – mit ihm zusammen ihn anders sehen heißt auch: Ich erlaube mir, durch die bewusst forcierte Offenheit eine Erweiterung meines eventuell eingeengten Blickwinkels. „Brillengläser“ werden somit wieder geputzt und anschließend sieht man durch sie deutlicher und schärfer. So mancher Perspektivwechsel verhilft, sich selbst oder etwas zu hinterfragen und erneut in gegenseitiger Offenheit mit- und voneinander in seiner Diversität zu lernen. Neue Aspekte tun sich auf, bereichern das Wissen in unserem Portfolio und erweitern den Erfahrungsbereich.
Christa H. Herold, Psychologische Beraterin, ist in eigener Praxis in der systemisch-lösungsfokussierten Beratung, Therapie und Supervision tätig. Darüber hinaus ist sie geprüfte Schriftpsychologin, Burn-out-Beraterin und zertifizierte Mediatorin. Alle Beiträge von Christa H. Herold finden Sie hier.