Es ist eine (Un-) Möglichkeit, soziale Systeme zu steuern. Was macht Führung dann eigentlich aus, wenn das Ergebnis nichts oder nur wenig mit den Aktivitäten der Führungskraft zu tun hat? Warum werden etwa, um ein Beispiel zu nennen, Fußballtrainer in der Bundesliga für ihre Führung und Wunderwirkung gelobt?
Der Schlüssel liegt im Abschied von der Vorstellung einer strengen kausalen Beziehung. Denn aus einer systemischen Perspektive gilt das Kausalitätsprinzip nicht für Kommunikationsprozesse. Dennoch werden Führungsaktivitäten im Allgemeinen, auch aus systemischer Sicht, als wirksam empfunden.
Diese Wirksamkeit besteht in Impulsen, Interventionen, Irritationen oder Störungen, die eine Führungskraft in einem System auslösen kann. Diese wirken als Anregungen auf die Adressaten. Welche Auswirkungen und Folgen diese Aktivitäten haben bleibt grundsätzlich offen.
Direktive Instruktionen vom Spielfeld?
Instruktionen haben grundsätzlich nur eine zeitlich und kontextuell beschränkte Reichweite. Sie funktionieren durch eine radikale Reduzierung von Handlungsoptionen in Verbindung mit Sanktionen bei Befolgung bzw. Nicht-Befolgung. Gerade diese Reduzierung schränkt jedoch auch die Wirksamkeit deutlich ein. Es wäre vergleichbar mit einem Trainer, der versucht, jeden Pass, jede Positionierung durch direkte und detaillierte Anweisungen zu steuern.
Und dennoch: „Neue Besen kehren gut.“?
Gerade im Blick auf diese Unmöglichkeit zu steuern, gibt es Beobachtungen, die uns staunen lassen. An sich erfolgreiche Teams erleben eine Ergebniskrise. Die bisher gewohnten und erwarteten Leistungen werden nicht mehr erbracht. In dieser Situation wird eine neue Führung installiert und das Team ist innerhalb weniger Tage wieder auf der Erfolgsspur.
Beispiele für diesen Effekt finden sich etwa in der Fußball-Bundesliga:
Zu Beginn der Saison 2017/2018 gelingt es dem Team des FC Bayern nicht, die erwartenden Leistungen zu zeigen. Zunächst sah der dann folgende kurzfristige Trainerwechsel wie einer der in der Liga üblichen Reflexe aus. Das Team kam wieder auf Erfolgsspur und war im Frühjahr auf dem besten Weg das Triple zu gewinnen. Die Reaktivierung von Jupp Heynckes scheint in diesem Kontext außerordentlich gelungen und erfolgreich.
Wie ist das gelungen?
Einmal Trainer sein
Lassen Sie uns ein wenig spekulieren: Was wäre wohl das systemische Erfolgsrezept für diese Führungsaufgabe? Wie würden Sie agieren, wenn Sie Jupp Heynckes wären?
Sie haben ein Team von Spezialisten vor sich, die für ihre Expertise, ihren individuellen Ehrgeiz, für ihr selbstbewusstes Auftreten und für ihre finanzielle Unabhängigkeit bekannt sind. Also starke Individuen, die geschult, trainiert und erfahren sind. Und als ob das noch nicht genug ist: Sie hatten bereits eine Reihe von Vorgesetzten, die ebenfalls, mehr oder weniger, als Koryphäen ihres Faches galten.
Hier also ein Selbsttest: was der folgenden Dinge würden sie tun? Auf einer Skala von 1 bis 10 steht 1 für „Würde ich nicht machen“ und 10 für „Würde ich auf jeden Fall machen“.
- Sie führen mit jedem Spieler ein Einzelgespräch. Ihr Ziel ist es, eine individuelle Verpflichtung der Spieler zum Erfolg des Teams zu erreichen.
- Sie ergänzen den Beraterstab um einige Spezialisten, z.B.:
a) Ökotrophologen, die die Ernährung der Spieler neu einstellen.
b) Psychologen, die die Spieler individuell betreuen.
c) Systemische Berater, die die Dynamiken im Team beobachten.
d) Innenarchitekten, die die Trainings- und Briefingräume neugestalten. - Sie installieren einen Spielerbeirat.
- Sie sprechen mit dem Team nur als Ganzes, Einzelgespräche finden auf dem (Arbeits-)Platz statt, Sie präsentieren Ihren Plan und kündigen die ersten Schritte an. Dann machen Sie sich an die Arbeit.
- Aus Ihrer Sicht müssen weiterhin vertrauliche Gespräche mit den Spielern geführt werden. Den Kern der Gespräche erwähnen Sie auch in Gesprächen mit Journalisten.
- Sie verkünden Ihren Plan und Ihr Vorgehen, natürlich ohne taktische Einzelheiten, in Pressekonferenzen, um den Weg und Fortschritte transparent zu machen.
- Sie stellen die strategische Ausrichtung der einzelnen Mannschaftsteile auf den Prüfstand und entwickeln neue strategische Elemente.
- Sie fordern in der Teambesprechung höheres Engagement aller Beteiligten.
- Sie fordern ein, dass die Stürmer schneller laufen, die Verteidiger härter durchgreifen und das Mittelfeldspieler im Spiel die taktische Übersicht verbessern (hier zugegebenermaßen stark vereinfacht dargestellt).
- Sie erfragen beim Spielerbeirat, was geändert werden müsste, damit die Ergebnisse der Mannschaft deutlich besser werden.
Wahrscheinlich können Sie allen Maßnahmen mehr oder weniger zustimmen, wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestimmen. Aber wie hat wohl Jupp Heynckes agiert, der Bayern München in der skizzierten Situation übernommen hat? Und wie lässt sich diese Führungsarbeit systemisch einordnen?
Jupp Heynckes – eine systemische Spekulation
Basierend auf öffentlichen Äußerungen, Pressemeldungen und auf Einschätzungen von Fans lässt sich Heynckes Handeln spekulativ nachzeichnen. Dies soll genutzt werden um auf einige Merkmale seiner Führung hinzuweisen, die als wesentliche Bausteine seines Erfolges gelten können:
Zu 1) Sicher hat der Trainer Einzelgespräche mit seinen Spielern geführt. Es ist vorstellbar, dass er dem einzelnen Spieler seine konkreten Vorstellungen der Team-Strategie vermittelt und die individuelle Rolle des Spielers in dieser Strategie darstellt. Dabei wird es vor allem um die Wertschätzung der bisher erbrachten Leistungen und Fähigkeiten gehen. Anschließend wird die Differenz zwischen den aktuellen Leistungen und den künftigen Anforderungen im Mittelpunkt stehen: „Was muss/wird anders werden, damit es besser wird?“ könnte eine Kernfrage sein. Aus systemischer Sicht geht es hier um Rollenklärung, Vertrauensbildung durch Klarheit und individuelle Klärung der Leistungsziele.
Zu 2) Öffentliche Äußerungen des Trainers deuten darauf hin, dass der Beraterstab so klein wie möglich gehalten wird. Die Zahl der Irritationen durch außenstehende Experten soll auf ein Minimum reduziert werden. Aus systemischer Sicht bedeutet das Komplexitätsreduktion zwischen System (Team) und Umwelt (Experten), um die Fokussierung des Teams auf seine Kernaufgaben sicherzustellen. Wenn man so will: um die Reduzierung struktureller Kopplungen auf ein Mindestmaß. Damit werden eine ganze Reihe von Entscheidungsprämissen für die spätere Arbeit gesetzt.
Zu 3) Ähnliches gilt für die Installation eines Spielerbeirats. Auch ein Spielerbeirat würde zunächst die Komplexität erhöhen, da damit quasi eine Zwischenebene eingezogen würde, die neue, indirekte Kommunikationen einführen würde.
Zu 4) Auf dem Arbeitsplatz (Spielfeld) sind alle Instruktionen, Irritationen oder Interventionen für alle Mitglieder des Teams sichtbar. Eine zentrale Fähigkeit von Jupp Heynckes besteht darin, dass er Nähe zu den Spielern herstellt und klare und passende Rollen für sie – und vielleicht auch mit ihnen – entwickelt. Im Team wird die jeweilige Rolle transparent gemacht, die Schnittstellen werden definiert und eingeübt. Aus Führungsperspektive werden hier Entscheidungsprämissen festgelegt und Entscheidungsspielräume skizziert. Die Unmöglichkeit von direktiven Instruktionen während eines Spiels macht es notwendig, dass an diesem Prozess alle Teammitglieder, Beteiligte und Beobachter teilnehmen und kooperieren. So kann schließlich Verlässlichkeit und Vertrauen hergestellt werden. Im konkreten Fall entsteht aus scharf gezeichneter Transparenz, kompetenter Klarheit und der daraus entstehenden „systemischen Verlässlichkeit“ die Basis für den schnellen Erfolg.
Zu 5) Heynckes werden viele Fähigkeiten nachgesagt, die elementar wichtig für Führungskräfte sind: persönliche Nähe, Berücksichtigung individueller Stärken und Schwächen und emphatisches Verständnis. Sie ermöglichen es, eine respektvolle und wertschätzende Beziehung zu etablieren. Darüber hinaus spricht er aber auch öffentlich über die Gespräche mit seinen Spielern, und zwar immer einordnend und mit hoher Wertschätzung für den jeweiligen Spieler. Damit sind diese Äußerungen auch an die Spieler selbst gerichtet. Das ist wiederum ein Signal nach innen, das zeigt: Ihr seid mir wichtig und das ist meine Einschätzung der Situation.
Zu 6): Die Offenlegung von Plan und Vorgehen gegenüber der Umwelt, z.B. in einer Pressekonferenz findet nicht statt. Das, was fachlich und fußballerisch geplant ist, bleibt eine systeminterne Angelegenheit und lässt sich allenfalls am Spieltag als Ergebnis beobachten.
Zu 7): Auch das ist nicht sichtbar. In der konkreten Situation war das Gegenteil der Fall. Es gab – soweit aus der Distanz beobachtbar – keine Neuentwicklungen und keine grundsätzliche Infragestellung der bisherigen strategischen Ausrichtung. Stattdessen stand die Wertschätzung für die konkreten und aktuellen Leistungen der Mannschaft sowie die außerordentlichen Fähigkeiten der individuellen Spieler im Zentrum der ersten Wochen. Zusätzlich folgte die Besinnung auf qualitativ hochwertiges und solides Handwerk (bzw. „Fußwerk“). Außerdem wurde das Spielsystem pragmatisch ausgerichtet. Systemisch betrachtet standen Komplexitätsreduktion und Zuverlässigkeit im Fokus der Arbeit sowie der Rückgriff auf vorhandene Ressourcen.
Zu 8) und 9) Wir wissen nicht, ob und wie Heynckes das tun würde. Aus systemischer Perspektive machen solche Aufforderungen allenfalls als Intervention Sinn, um die Emotionen der Spieler anzusprechen. Als Anweisung macht die Forderung nach mehr Engagement und Leistung nur wenig Sinn. Wie sollte man einer solchen Anweisung Folge leisten können? Im besten Fall wird eine solche Intervention als Impuls verstanden, die eigene Haltung und das eigene Handeln zu überprüfen. Im Kreis von Profis erscheint eine solche Aufforderung zu allgemein und wirkt eher wie ein Angriff, denn Engagement gehört in einem solchen Team zur Grundausstattung.
Zu 10) Wir glauben nicht, dass der Trainer an dieser Stelle mit einem Brainstorming beginnt das Umfeld einzuziehen, um Ideen für die Leistungssteigerung des Teams zu entwickeln. Vielmehr erscheint es wahrscheinlicher, dass er auf Basis von Erfahrung und fachlicher Expertise sowie aktueller Spielbeobachtung einen Plan entwickelt. Dieser wird im Sinn agiler Methoden erprobt und gegebenenfalls durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt bzw. zielgerichtet verändert. Systemisch interpretiert könnte man sagen, dass er seine Position als (bisher) außenstehender Beobachter nutzt, um das Team durch eine umfassende Intervention so zu irritieren, dass es wieder zum Fundament seiner Leistungsfähigkeit zurückfindet.
Das hier wirksame Paradigma vom Fundament der Leistungsfähigkeit zeigt sich auch in sportlichen, also fachlichen Maßnahmen.
Resümee
Wir wissen nicht, inwieweit Heynckes dieser systemischen Betrachtung seiner Führungsarbeit zustimmen würde. Allerdings demonstriert sein Beispiel gut, wie gelebte Führung analysiert werden kann. Auch, wie komplexe Führungsaufgaben vereinfacht werden können, um schließlich Potenzial für größere Wirksamkeit zu identifizieren.
Zum Schluss bleibt zu fragen: Wie sieht Ihre Selbsteinschätzung aus? Inwieweit stimmt sie mit unserer systemischen Perspektive auf die Führungsarbeit von Heynckes überein? Wo sind Unterschiede? Oder anders gefragt:
Wie steht‘s um Ihre systemische Führung?
Steuern
Hallo, danke für den Steuertipp! Wenn ich andere Leute dazu steuern möchte eine gute Arbeit zu leisten, dann ist das sehr schwer. Ich kann viele Wettbewerbe machen. aber irgendwann gehen die Ideen aus. Wiederholungen sind aber nicht so gerne gesehen. Mit Druck geht sowieso nicht. Danke für den tollen Blog Beitrag! https://www.ghz-steuerberatung.de/leistungen/steuerberatung/