Im Zeitalter der Glaubensspaltung war Europa der Schauplatz zahlreicher religiöser Konflikte, die unter dem Namen der Religionskriege in die Geschichte eingegangen sind. Als Religionskriege gelten vor allem die Französischen Bürgerkriege und der Dreißigjährige Krieg. Erstaunlicherweise sind diese Kriege vielfach als Religionskriege untersucht worden. Der Begriff des Religionskrieges selbst war dagegen bislang kaum Gegenstand historischer Untersuchungen. Er wurde erst eine Generation nach den sogenannten Religionskriegen zu einem festen Schlagwort der politischen und historischen Debatten.
Das Aufkommen einer europäischen Debatte über Religionskriege am Ende des 17. Jahrhunderts hängt mit neuen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten zusammen. Beide Konfessionen bedienten sich dabei verstärkt des Arguments der Religion. In Frankreich beschuldigten katholische Kleriker ihre hugenottischen Landsleute in der Vergangenheit Religionskriege entfacht zu haben. Auf diese Weise appellierten sie an König Ludwig XIV., er solle die Ausübung der protestantischen Religion in Frankreich verbieten. Die Hugenotten erklärten ihrerseits den katholischen Klerus verantwortlich für das Entfachen von Religionskriegen in Vergangenheit und Gegenwart. Vor allem der Papst und die Jesuiten würden durch falsche Anschuldigungen und Intrigen auf einen Religionskrieg zur Vernichtung der reformierten Kirche in Frankreich und Europa hinarbeiten. Durch die Betonung ihrer eigenen Untertanentreue und ihres Kampfes für das regierende Königshaus in den vergangenen Religionskriegen erhofften sich hugenottische Autoren, der König würde ihrer Argumentation beipflichten und sich nicht von den Verleumdungen der katholischen Geistlichkeit blenden lassen.
Religiöse Auseinandersetzungen in Europa
Ludwig XIV. zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die bloße Existenz des Protestantismus in Frankreich eine Gefahr für das Entfesseln neuer Religionskriege darstellte. Um diese Gefahr zu bannen, bedürfte es der Ausrottung des Protestantismus in Frankreich. Es kam zu einer Flut antiprotestantischer Gesetze, Berufsverboten, der Wegnahme von Kindern und gewaltsamen Truppeneinquartierungen, die die französischen Protestanten zur Konversion zwingen sollten. 1685 verbot der König tatsächlich endgültig die protestantische Religionsausübung. Tausende Hugenotten flohen ins protestantische Ausland. Ihr Schicksal steigerte die Furcht vor einer gewaltsamen Rekatholisierung im protestantischen Europa. Die zunächst französische Auseinandersetzung um einen Religionskrieg wurde zu einer europäischen Debatte. So verstärkte sich aufgrund des Schicksals der französischen Hugenotten die Angst bei den englischen Protestanten, als dort mit Jakob II. 1685 ein Katholik den Thron bestieg. In der Tat war der neue englische Monarch bestrebt, es seinem französischen Vetter gleich zu tun und seine Untertanen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekehren. Die protestantischen Engländer reagierten mit Ablehnung und zunehmendem Widerstand. 1688 baten sie Wilhelm von Oranien, den protestantischen Schwiegersohn Jakobs II., zu Gunsten ihrer Religion in England zu intervenieren. Es kam zur Glorious Revolution, Jakob II. floh nach Frankreich und Wilhelm von Oranien wurde als Wilhelm III. zum neuen englischen König gewählt. Mit Unterstützung Ludwigs XIV. versuchte Jakob II. fortan seinen Thron zurückzuerobern. Auch in den österreichischen Erblanden, Böhmen und in Ungarn ging Kaiser Leopold I. zur Gegenreformation über, erließ neue antiprotestantische Gesetze, beschnitt die noch verbliebenen Rechte seiner protestantischen Untertanen, ließ Kirchen einreißen und verbannte evangelische Pastoren auf die Galeeren. Im Inneren des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation fiel die Kurpfalz 1685 durch Erbfall an die katholische Seitenlinie Pfalz-Neuburg. Die neuen Kurfürsten machten sich auch dort umgehend an die Gegenreformation und enteigneten einen großen Teil der reformierten Landeskirche, deren Kirchengebäude und -einnahmen sie zwangsweise zur Hälfte der katholischen Kirche übereigneten.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Protestanten die zur selben Zeit entfachten Kriege als Religionskriege wahrnahmen. Der Umstand, dass Wilhelm von Oranien unter dem Motto „Pro Protestante Religione“ in England intervenierte, beunruhigte dagegen das katholische Europa. Auch wenn Wilhelm III. betonte, keinen Krieg gegen den Katholizismus zu führen, erregte sein Eingreifen in England das Misstrauen der katholischen Mächte. Die französische Propaganda nutzte diesen Umstand, um den Versuch zu starten, die anderen katholischen Fürsten auf die Seite Ludwigs XIV. und Jakobs II. zu ziehen. Frankreich erklärte, Wilhelm von Oranien führe einen Religionskrieg gegen den Katholizismus und Ludwig XIV. sei der einzige Monarch, der die katholische Religion gegen dieses Vorhaben verteidige. Diese französischen Verlautbarungen wiederum verstärkten das Misstrauen der Protestanten gegen die katholischen Mächte, die sie ihrerseits der Führung eines Religionskrieges verdächtigten. Ein Teufelskreis aus gegenseitigem Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen entstand und befeuerte die Debatte um einen aktuellen Religionskrieg in Europa. Die Anhänger beider großer Konfessionen betonten keinen Religionskrieg zu führen, bezichtigten aber die Gegenseite der religiösen Kriegsführung.
Die Debatte um einen Religionskrieg zielte insbesondere auf die Allianz der katholischen Gegner Frankreichs mit den protestantischen Fürsten. Zwischen dem katholischen König von Frankreich und dem katholischen Kaiserhaus entbrannte ein Streit, der der jeweiligen Gegenseite den Missbrauch der Religion zur Erlangung machtpolitischer Ziele unterstellte. Den katholischen Habsburgern gelang es damit, ihr Bündnis mit den protestantischen Fürsten plausibel zu rechtfertigen. Und auch die protestantischen Alliierten übernahmen diese Argumentationsfigur, um dem Bündnis mit den katholischen Habsburgern in den Augen der katholischen Öffentlichkeit in Europa Legitimation zu verleihen. Dieses überkonfessionelle Argumentationsmuster konnte sich letztendlich gegen die französischen Erklärungen zum Religionskrieg durchsetzen. Der Begriff des Religionskrieges fiel fortan regelmäßig mit dem Vorwurf des Missbrauchs der Religion zusammen und war vollends zum Negativbegriff geworden.
Der Religionskrieg in Tagespublizistik und Geschichtsschreibung
Die Debatte über einen Religionskrieg wurde vor allem in der aktuellen Tagespublizistik und in der Geschichtsschreibung geführt. Beide Medien schufen im Zusammenspiel ein festes politisches Schlagwort, ein Geschichtsbild und ein Epochensignum vom Religionskrieg. Einerseits charakterisierte eine besondere Mehrdeutigkeit den Religionskriegsbegriff zwischen 1679 und 1714, andererseits begann sich der Begriff zwischen dem Einsetzen der ersten antiprotestantischen Verfolgungsmaßnahmen in Frankreich und den Friedensschlüssen von Utrecht, Rastatt und Baden zu verdichten. Die Geschichtsschreibung stellte dabei ein unerschöpfliches ideelles Reservoir für die Debatten der Tagespublizistik über einen Religionskrieg zur Verfügung. Die Zahl an mit einem Religionskrieg in Verbindung gebrachten historischen Ereignissen war enorm und ließ sich allenfalls in vorherrschende und randständige Erzählstränge unterteilen. Der Religionskrieg fungierte als Begriff, der weitgehend beliebig gefüllt werden konnte. Er war gleichzeitig konfessionell bestimmt und konfessionsübergreifend austauschbar. Protestantische Religionskriegsdeutungen waren relativ einheitlich, die katholische Religionskriegsdiskussion hingegen deutlich polyvalenter. Während der Katholizismus ein großes Gewicht auf die Tradition des Krieges gegen den Islam legte und seine Erinnerung an vergangene Religionskriege zunächst auf die mittelalterlichen Ketzerkreuzzüge rekurrierte, erinnerte die protestantische Geschichtsschreibung vor allem an die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als den Religionskriegen schlechthin. Diese Sichtweise begann sich aufgrund der Dominanz protestantischer Historiografie auch im Katholizismus durchzusetzen, der genötigt war gegen protestantische Anschuldigungen Stellung zu beziehen und deshalb, wenn auch nur ex negativo, die protestantische Argumentation aufzunehmen.
Die europäische Erinnerung an vergangene Religionskriege überwand erst in ihrer tagespolitischen Aktualisierung konfessionelle Grenzen. Während die Geschichtsschreibung historische Beispiele vergangener Religionskriege für die Tagespublizistik bot, schuf die Tagespublizistik eine dauerhaft wirksame Erinnerung an die Religionskriege. Aus der Aktualisierung der heterogenen Religionskriegserinnerung in den politischen Debatten der Gegenwart des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts entwickelte sich schließlich unsere heutige Vorstellung vom Religionskrieg, die den Begriff für ganz bestimmte kriegerische Auseinandersetzungen wie die Französischen Bürgerkriege oder den Dreißigjährigen Krieg reserviert wissen will. Auf diese Weise bestimmen die Debatten aus der Zeit Ludwigs XIV. noch heute maßgeblich unser Bild von den Religionskriegen.