Freundschaft in der Welt der Geheimdienste – Erklärungsversuch eines lexikalischen Missverständnisses
Der Titel mag einige Leser überraschen. Wie kann man eine Formulierung wie „feindliche Freundschaft“ verwenden, wenn man über Geheimdienste spricht? Zumal wenn es dabei nicht um irgendwelche Geheimdienste geht, sondern um die oft mythologisierten Sicherheitsministerien der DDR und der Volksrepublik Polen (VRP).
Die paradoxe Formulierung „feindliche Freundschaft“ wurde jedoch absichtlich gewählt, weil sie am besten die externen Beziehungen jeder Einrichtung charakterisiert, die sich mit Spionage beschäftigt. Egal ob in der Zeit des Kalten Krieges oder nach dem Ende der Friedlichen Revolutionen. Die genannten Einrichtungen – Sicherheitsbehörden bzw. Geheimdienste – sollen ausschließlich die eigenen Interessen verteidigen, koste es, was es wolle. Freundschaft, Fairness oder Loyalität haben da keinen Platz. Sie dürfen auch keinen haben.
Man arbeitet also mit ähnlichen Diensten zusammen. Doch man tut dies nicht, weil man es machen möchte, sondern weil man keine andere Wahl hat – keine politische, technische oder finanzielle. Anders gesagt: man ist hin und wieder zur Kooperation gezwungen. Der potentielle Partner hat etwas, was man selbst nicht hat. Dabei steht außer Frage, dass eine kooperative Leistung entsprechend bezahlt werden muss.
Ein solcher Partner ist dann aber nicht automatisch ein „Freund“. Mehr noch, die Kooperation kann dazu führen, dass gleichzeitig gegen den Partner gerichtete Handlungen notwendig sind oder zumindest gefördert werden. Insofern ist der Grat zwischen Freundschaft und Feindschaft in der Welt der Geheimdienste sehr schmal.
Der Intelligence Circle als Intelligence Cooperation Circle
Der Begriff intelligence circle meint vor allem den internen Prozess, in dem Geheimdienste notwendige Informationen beschaffen und bearbeiten. Er ist jedoch auch geeignet, um fünf Elemente vorzustellen, die das Wechselverhältnis zwischen Geheimdiensten beschreiben. Es handelt sich dabei um konkrete Gründe der Kooperation, die Darstellung beider Partner, formelle Grundlagen der gegenseitigen Kontakte, ihre Implementierung sowie politische Resultate. Da in der Welt der Geheimdienste die wichtigste Frage die nach dem Warum ist, sollte man sie zuerst beleuchten.
Die Volksrepublik Polen – Hassliebe der ostdeutschen Stasi?
Einerseits muss die Volksrepublik Polen der Albtraum jedes ostdeutschen Ministers für Staatssicherheit gewesen sein. Warum? Ganz einfach: Das ohne Zweifel liberalste Land innerhalb des Warschauer Paktes verkörperte all das, was die SED sowie das MfS immer bekämpfen wollten – eine halbfreie Wirtschaft, eine intakte und immer mächtiger werdende politische Opposition, eine liberale Grenzpolitik, seit 1970 auch für Ostdeutsche, regelmäßige Bürgeraufstände einschließlich der Solidarność-Revolution ab 1980. Dazu kamen Grenzkonflikte zwischen der DDR und der VRP, katastrophale bilaterale Beziehungen auf der parteipolitischen Ebene sowie die interne Konkurrenz im Warschauer Pakt um die politische Position Nummer Eins hinter der Sowjetunion.
Ein schwaches Volkspolen war zwar kein direktes Ziel der DDR-Politik. Die Förderung des kommunistischen Polens, in dem keine konterrevolutionären Strömungen geduldet werden, hingegen schon. Denn nur so war es möglich, die Ostgrenze der DDR abzusichern und die Verbreitung jener polnischen freiheitlichen Strömungen zu verhindern, wodurch die staatliche Existenz der künstlich gegründeten DDR gewährleistet werden könnte.
Die geschilderte Lage bestimmte zwangsläufig die auf Polen bezogenen Aufgaben der Stasi. Wichtigster Punkt: Die Opposition im Nachbarland musste gemeinsam mit den anderen sozialistischen Geheimdiensten unbedingt bekämpft werden. Darüber hinaus hatte das MfS den Auftrag, auch das politische und soziale Leben Volkspolens aufzuklären sowie jene Kräfte in der volkspolnischen Staatspartei zu unterstützen, die die in Ostberlin gewünschte Wahrnehmung des orthodoxen Kommunismus teilten. Und schon das bedeutete automatisch Konflikte mit dem polnischen Geheimdienst.
Andererseits war dieses ultra-kommunistische Polen seitens der Stasi nicht ernsthaft erwünscht, denn das volkspolnische Regierungssystem bot gleichzeitig eine der besten Möglichkeiten innerhalb des Warschauer Paktes, gegen Geheimdienste der NATO-Staaten zu agieren. Polen war faktisch eine Grauzone des Kommunismus. Und genau deshalb war es geheimdienstlich für die Stasi so attraktiv, obwohl sie genau diese Grauzone auch zu bekämpfen hatte.
Der gegnerische Freund – Das Ministerium des Innern der Volksrepublik Polen
Der polnische Geheimdienst MSW war mit der Stasi kaum zu vergleichen. Er war fünfmal kleiner, sowohl was die Zahl der Hauptamtlichen als auch die der Inoffiziellen Mitarbeiter anging. Er verfügte weder über den beachtlichen Etat der Stasi noch war die Konsolidierung seiner Führungsebene so fortgeschritten wie in Ostdeutschland. Alle sechs bis sieben Jahre gab es im MSW eine interne Revolution, verbunden mit den ebenso regelmäßigen innenpolitischen Turbulenzen Volkspolens. Darüber hinaus sah es sich ständig mit mächtigen Gegnern konfrontiert, wie etwa der Solidarność-Bewegung.
Eine Folge waren nicht nur die Desillusionierung oder die Entideologisierung der polnischen Geheimdienstler, sondern vor allem das Bewusstsein, dass es nicht die Hauptaufgabe eines Sicherheitsministeriums ist, nur Schild und Schwert der Partei zu sein, und das auch gegenüber vermeintlich befreundeten Diensten wie dem MfS. Die Hauptaufgabe bestand laut Ansicht des MSW eher darin, der Parteispitze die Wahrheit darüber zu sagen, wie die Welt funktioniert oder dass es nötig ist, die politische Opposition nicht zu bekämpfen, sondern mit ihr zu verhandeln. Das hingegen kam der Stasi nicht in den Sinn bzw. überhaupt nicht infrage. Und deswegen stand sie 1989 auf der Verliererseite.
Der Vertrag
Bis 1974 wurden bilaterale Kontakte ohne eine umfassende ministeriale Vereinbarung abgewickelt. Wozu wollte man also im besagten Jahr plötzlich eine Kooperationsvereinbarung abschließen? Zum einen, weil viele sozialistische Geheimdienste ähnliche Verträge mit dem KGB geschlossen hatten. Die neue bundesrepublikanische Ostpolitik brachte eine neue Dimension in die Ost-West-Politik. Dazu war eine verstärkte Kooperation der Sicherheitsbehörden nötig. Aus ostdeutscher Sicht sollten solche Verträge aber auch eine Grundlage dafür sein, bestehende Probleme der bisherigen bilateralen Kooperation zu überwinden. Aus volkspolnischer Perspektive hingegen war der Vertrag mit der Stasi im Jahr 1974 nur eine lästige Konzession, die, wie das im Kommunismus üblich war, zwar viele Deklarationen umfasste, jedoch mit der Realität nichts zu tun hatte. Die meisten Passagen des Vertrages waren radikal allgemein formuliert. Die Zusammenarbeit wurde darin zwar festgeschrieben, jedoch immer mit dubiosen Adjektiven versehen, die frei zu interpretieren waren. Außerdem hat die polnische Seite bis 1989 alle ostdeutschen Vorstöße abgelehnt, den Vertrag zu präzisieren.
Das Bruderorgan als Freund
Die faktische Kooperation war minimal. Alle zwei Jahre wurden 10 bis 13 gemeinsame Operationen durchgeführt. Pro Bereich eines konkreten feindlichen NATO-Geheimdienstes bedeutete das nur etwa drei Projekte, sowohl rein operative als auch technische. Es wurden fremde Botschaften infiltriert, Agenten geschult und Verräter innerhalb des polnischen diplomatischen Dienstes gesucht. Darüber hinaus wurden politische Analysen ausgetauscht und die Grenze bewacht. Außerdem kontrollierte man die Wege, auf denen oppositionelle Literatur geschmuggelt wurde. Und nur wenige wissen, dass ein beachtlicher Anteil der polizeilichen Ausrüstung, die für die Einführung des Kriegsrechts in Polen 1981 nötig war, aus Stasibeständen kam.
War das jedoch ein Beleg für eine Freundschaft zwischen den beiden Diensten? Keinesfalls. Die gemeinsame Bewachung fremder Botschaften hinderte die Stasi nicht daran, gleichzeitig polnische Regierungsnetze zu knacken. Hilfe wurde der polnischen Seite außerdem nur dann gewährt, wenn etwa Stasiquellen in den westdeutschen Geheimdiensten nicht gefährdet würden. War das nicht der Fall, nahm man herbe Verluste des „Freundes“ in Kauf. Die polnische Spionageabwehr ihrerseits zwang die Stasi, eigene Agenten im Auswärtigen Amt zu offenbaren.
Das Bruderorgan als Gegner
Der Kampf gegeneinander zwischen der Stasi und dem MSW lief auf zwei Ebenen, der operativen und der politischen. Beide Dienste verfügten im Nachbarland über eine relativ große Community eigener Bürger – etwa Studenten, Diplomaten, Vertragsarbeiter. Dazu kamen offizielle Parteikontakte. Grund genug, um Leute über die politische Lage des Nachbarn zu befragen, insbesondere nach dem Ausbruch der Solidarność-Revolution in Polen. Sowohl die Stasi als auch das MSW taten also das, was jeder Geheimdienst tun muss: Es wurden Doppelagenten zwischen der DDR und der VRP platziert. Anbieter des jeweiligen Dienstes versuchten, den „Freund“ mit präparierten Informationen zu beliefern. Seitens des MSW wurde nach illegalen Anwerbungen polnischer Bürger gefahndet. Die volkspolnische Botschaft in Ostberlin wurde genauso infiltriert wie die ostdeutsche in Warschau. Ein Fehler der Stasi bestand jedoch darin, radikale Kontrollmechanismen zu entwickeln. Allein der Verdacht, dass ein polnischer Bürger an der DDR-Grenze nicht wie üblich kontrolliert wurde, genügte, um ihn als Stasispitzel zu markieren. Dadurch gerieten die meisten Stasiquellen schnell unter polnische Aufsicht.
Die politische Dimension des Kampfes war aber wichtiger. So konnte die Stasi zweifellos sehr interessante Informationen über Polen sammeln. Sie wollte sie jedoch nicht nutzen. Das MSW hingegen versuchte, die ostdeutsche Gesellschaft zu verstehen und der polnischen Führung die Wahrheit über die DDR zu sagen. Das Analytische war aus polnischer Sicht wichtiger als das Operative. Ein Zitat aus einem Bericht der polnischen Aufklärung belegt dies sehr gut. Ein Gesprächspartner eines polnischen Geheimdienstlers aus der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS sagte im Jahr 1987, dass die Parteileitung [der SED – A. d. V.] nur solche Informationen von den Geheimdiensten will und toleriert, die ins Bild passen und die vor allem die Einschätzung der Stimmung innerhalb der Gesellschaft nicht in Frage stellen.
Heute wissen wir, wie die Geschichte endete. Das MSW hatte die Friedliche Revolution in der DDR richtig vorhergesagt und General Kiszczak, seit den 1980er Jahren an der MSW-Spitze, behielt seinen Posten und wurde Innenminister in der ersten nichtkommunistischen Regierung Polens nach 1989. Erich Mielke war damals schon im Gefängnis ...
Und was ist nun mit der Freundschaft zwischen den Geheimdiensten? Es gab und gibt sie nach wie vor nicht. Und entsprechende Änderungen sind auch nicht in Sicht.
Dr. Tytus Jaskułowski ist Professor am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universität Grünberg (Zielona Góra), Polen sowie Herausgeber der Edition der polenbezogenen Stasidokumente am Institut des Nationalen Gedenkens (Außenstelle Stettin).