Warum haben Sie ein Arbeitsbuch über die Kommunikation in der Schule geschrieben?
Als ich 1993 mit meinem Studium fertig war, landete ich mit den disziplinären Spezialitäten und eigenwilligen Elternherausforderungen buchstäblich auf dem Hinterteil. Niemand erwähnte je, wie sich Situationen im Schulalltag gestalten würden. Die Erfahrung war der beste Lehrmeister.
Jetzt, 31 Jahre danach, hat sich das noch immer nicht geändert. Die Zeiten wurden rauer, und ich wollte nachfolgenden Kolleg:innen ein Arbeitstool bieten, das ihren Arbeitsalltag erleichtert. Verwaltungsaufwände grassieren, Lehrpersonen kommen in Beweislast. Mit dem richtigen Kommunikationswerkzeug kann man Derartiges a priori ausschalten und in der Situation souverän reagieren.
Welches war das krasseste Ereignis, das Ihnen in Ihrer Laufbahn passiert ist?
Es gibt immer wieder Überraschendes im Schulalltag; kein Tag verläuft wie der andere. Das ist eigentlich das, was den Beruf auszeichnet: In unterschiedlichsten Lebenslagen innerhalb weniger Sekunden adäquat zu reagieren.
Aber eines der bemerkenswertesten Beispiele war sicherlich ein Mädchen, die berichtete, von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Wir informierten die entsprechenden Stellen, und eine halbe Stunde später stand Fachpersonal vor dem Klassenzimmer und bat die Schülerin heraus. Nach dem Gespräch gab das Mädchen zu, dies nur erfunden zu haben, um dem Vater zu schaden. Er hatte ihr anscheinend das Wochenende zuvor Ausgehverbot erteilt.
Trotzdem ist es unsere Pflicht, allen Hinweisen nachzugehen, wenn das Kindswohl gefährdet scheint.
Sie beschreiben in Ihrem Buch die Konfliktpotenziale an Schulen – zwischen Lehrkräften und Schulkindern, oder auch zwischen Lehrpersonen und Eltern oder Kollegen. Ihre „Kommunikationsambulanz“ soll bei diesen Konflikten Abhilfe schaffen. Auf welchem Prinzip bauen diese Sprachwerkzeuge auf?
Die Sprachwerkzeuge können als Sprachmathematik angesehen werden. Primär geht es darum zu erkennen, welche versteckten Bedürfnisse Denkweisen und Haltungen blockieren. Sie sind es nämlich, die alle Prozesse zum Stocken bringen. Ausnahmslos. Mit gezielter Fragetechnik wandelt man Emotionen in Sachlichkeiten um. Gefühle werden in den Hintergrund gerückt, und es gibt freie Bahn für Diskussionen mit Fleisch am Knochen. Daraus entwickeln sich Verhandlungsgrundlagen für gute Ergebnisse. Funktioniert einwandfrei.
Können Sie uns einige der Sprachwerkzeuge etwas genauer vorstellen?
Gerne. Der Themenkasten bildet das Fundament der Gesprächsführung. Aus dem Gesprochenen werden Stichworte herausgefiltert, um Aussagen Form zu geben.
Die Stichworte helfen, Kommunikationsschleifen zu generieren, die beim Gegenüber das „Getting to Yes“ auslösen. Menschen fühlen sich sowohl gehört als auch verstanden und nehmen das Gegenüber nicht (mehr) als Konkurrenten wahr, sondern als Ruderbootinsassen. Gesprächs-Leichtfüßigkeit stellt sich ein. Aus den Loopings ergeben sich Angebote zur raschen Lösungsfindung, was eine ziemlich angenehme Sache sein kann.
Wie geht man damit um, dass man als Lehrperson auf so vielen Seiten beschossen wird?
Als Unterrichtslehrkraft braucht man gute Nerven. Wenn man die nicht hat, muss man sich welche zulegen. Jeder Arbeitstag beginnt mit voller Wucht, Warm-ups gibt es quasi nicht. Kaum betrittst du das Feld, brauchen Schüler:innen Schlüssel zum Aufsperren ihres Spinds, fragen, welche Inhalte die nächsten Wochen behandelt werden, oder beklagen sich über Mitschüler:innen. Gleichzeitig fragen dich Kollegen über Inhaltliches und Eltern verlangen Rückrufe. Das Geben ist Standard.
Ich denke, es ist zentral, dass man sich Gedanken über die Hintergründe von Handlungsweisen macht. Es gibt keine einzige menschliche Handlung ohne die Bedürfnisebene. Wenn man das einmal verstanden hat, kann man mit Beschuss besser umgehen. Menschen sind vorwiegend angstgesteuert und fürchten sich vor Veränderungen. Eltern vertrauen uns das Wertvollste an, das sie besitzen: ihre Kinder. Je nachdem, wie sich Verhaltensweisen zeigen, ist es sinnvoll, die versteckten Bedürfnisse transparent zu machen.
Was mache ich als Lehrkraft zum Beispiel ganz konkret, wenn eine Schülerin mitten im Unterricht aufsteht und etwa mit einem lauten „Ich hab keinen Bock mehr!“ aus dem Zimmer marschiert? Oder wenn ein Elternteil erbost vor der Sprechstundentür steht und wüst schimpft?
So einer Handlung ist wahrscheinlich schon ganz viel anderes vorausgegangen. Personen, die so ausbrechen, haben meist eine große Last zu tragen. Aus dem Bauch heraus, ohne Vorgeschichte und ohne zu wissen, wie alt die Schülerin ist, würde ich es vielleicht mit Coolness versuchen und sie kurz auf die Schulpflicht aufmerksam machen. Gleichzeitig einen Verweis auf die Klassenregeln machen, Meldung an das Zuhause und die Direktion informieren, dass die Schülerin gerade dabei ist, unerlaubt die Schule zu verlassen. Eine konstruktive Gesprächsführung bringt in dem Fall erst etwas, wenn sich die Schülerin beruhigt hat. – Im Elternfall wird die Person höflich dazu aufgefordert, die Schule zu verlassen und gleichzeitig ein Angebot (gerne auch schriftlich) gemacht, zu geladenem Termin wieder zu erscheinen, wenn der Ton passt.
Welches sind die zentralsten Elemente in Ihrem Buch?
Die Leserschaft bekommt ein Arbeitsbuch zur Hand, das schnell Abhilfe in zwischenmenschlichen Schieflagen schafft. Anhand praxisnaher Beispiele, die im Online-Bereich Erweiterung finden, kann das trainiert werden. Dieses Training bereitet auf den Alltag vor und schafft so Sicherheit in unangenehmen Situationen. Zentrale Elemente sind vor allem die Versachlichung von Emotionen, das Entschärfen von Vorhaltungen und der konstruktive Umgang mit unangenehmem Schriftverkehr. Alle Elemente können methodisch/didaktisch miteinander kombiniert werden, ähnlich dem Prinzip des Legobauens.
Natürlich kann niemals auf alles vorbereitet werden, aber durch das Training bekommt man ein gutes Gefühl für Situationen und lernt dabei, hinter die Kulissen zu blicken und Dinge nicht persönlich zu nehmen.
Wie schafft man heutzutage Vertrauen zwischen Eltern und Lehrpersonen?
Ich habe einmal irgendwo gelesen: Vertrauen ist die stillste Art von Mut. Das drückt das zarte Pflänzchen vielleicht am besten aus. In meiner Laufbahn als Lehrperson kann ich nur von meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich bin immer sehr gut damit gefahren, von Beginn an alles transparent zu kommunizieren. Der erste Elternabend ist, so wie ich meine, einer der Schlüsselfaktoren für eine gelingende Zusammenarbeit. Denn wenn man das Ganze genauer betrachtet, stellt man fest, dass hinter Misstrauen nur versteckte Bedürfnisse schlummern, über die man nicht gerne spricht. Wenn man das einmal erkannt hat, nimmt man vieles nicht mehr persönlich, weil man die Not des Gegenübers versteht.
Wie kann man das Feuer für die Unterrichtstätigkeit lange hoch halten?
Das ist eine Frage, wie ich meine, die man lediglich nach subjektivem Empfinden beurteilen kann. Solange man einen Sinn dahinter sieht, das Feuer junger Menschen anzufachen und ihnen kritisch hinterfragendes Denken beizubringen, solange macht das Unterrichten Spaß. Und auch, dass man ein Leben lang neugierig bleibt und verschiedene Sichtweisen auf Themen zulässt.
Wenn dieses Gefühl für mich nicht mehr da wäre, würde ich nicht mehr unterrichten wollen. Und es braucht gutes Sprachwerkzeug, das diese Haltung unterstützt.
Wie kann man Unterrichtstätigkeiten, einen Firmenaufbau und das Bücherschreiben unter einen Hut bringen?
Das beste Training für vielfältige Arbeiten war bei mir das Muttersein. Man muss Verschiedenartiges unter den Hut bringen, und das in einer Qualität, die Ansprüchen auf allen Ebenen gerecht wird. Man lernt, Dinge ineinander zu erledigen und schafft damit Freiräume, sodass neue Ideen Platz finden. Ganz wichtig sind „Leerzeiten“, wie Biketouren, überhaupt Bewegung an frischer Luft. Zeit für die Seele.
Inwieweit hat sich die Bildungslandschaft heute verändert? Wie erlebt man die Jugend im Wandel der Zeit und der Smartphones?
Ich schließe mich sehr den Gedanken von Rüdiger Maas an, der mit seinem Titel „Generation lebensunfähig“ ins Schwarze trifft. Wenig bis kaum anprangernd, aber ernüchternd analysierend beschreibt er, was der technische Wandel mit der Erziehung und Entwicklung unserer Jugend macht.
Kernkompetenzen wie Anstand, Höflichkeit, Empathie und Dankbarkeit werden in Elternhäusern vermehrt nicht mehr thematisiert, wertvolle Gespräche an Esstischen finden nicht mehr statt. Die Schule wird als zentrale Kompensationsmaschine angesehen. In weiterer Folge reduzieren sich Aufmerksamkeitsspannen auf 7 Sekunden, Stoffpensen und Wissensstände reduzieren sich. Auch nicht zuletzt, weil KI lästige Recherchen im Handumdrehen erledigt. Denken wird unpopulär. Wir müssen unserer Jugend wieder beibringen, dass es die Konstruktivität ist, die uns weiterbringt. Wir müssen sie ermuntern, Dinge zu studieren, die die großen Probleme der Welt lösen können anstatt sich destruktiv irgendwo anzukleben und depressiv zu sein.
Welches sind die unangenehmsten Tätigkeiten als Lehrperson?
Neben Korrekturen und Beurteilungen ist sicherlich unrunde Elternarbeit eine der größten Herausforderungen im Schulalltag. Vor allem dann, wenn Einsichten für inadäquates Verhalten fehlen und Kinder in ihrer falschen Richtung durch das Elternhaus bestärkt werden. Dies kommt vor allem dadurch zustande, dass Jugendliche nicht das kommunizieren, was vorgefallen ist, sondern gerne Perspektiven verdrehen. So entstehen leicht Schieflagen und Feindbilder. Man kann nicht nicht kommunizieren. Auch hier ist meist das interessanter, was nicht kommuniziert wird. Aber dann zückt man das richtige Werkzeug… :-)
Welchen zentralen Rat würden Sie angehenden Lehrpersonen für deren Einsatz im Alltag mitgeben?
Wie schon zu Beginn erwähnt, ist ein gutes Vertrauensverhältnis auf allen Seiten sehr förderlich. Das kann man durch Transparenz und Wohlwollen auf allen Seiten recht gut erreichen. Dies, gepaart mit dem richtigen Sprachwerkzeug, gibt Struktur und bereichert die tägliche Arbeit mit den Menschen.