Die Geschichte von Vandenhoeck & Ruprecht hätte schon 1750 ihr schnelles Ende finden können. Bereits 15 Jahre nach der Gründung starb Abraham Vandenhoeck im Alter von 50 Jahren ohne männliche Erben oder Verwandte, die das Verlagshaus hätten übernehmen können oder wollen. Anna Vandenhoeck hatte nach dem Tod ihres Mannes nun wenige Optionen: Den Verlag zu verkaufen und sich mit dem Geld als Witwe aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen, oder die zu jener Zeit für eine Frau noch nicht selbstverständliche Rolle als Verlegerin auszufüllen. Sie entschied sich für letzteres und prägte das Verlagshaus bis 1787 und somit wesentlich länger als ihr Mann.
Göttingen und das Ehepaar Vandenhoeck
1735 verließ die ursprünglich aus England stammende Anna Vandenhoeck (geb. Parry) gemeinsam mit ihrem Mann die Stadt Hamburg, wo sie zuvor eine Druckerei unterhalten hatten, und zog nach Göttingen, wo auf ihn neue Aufgaben als fachkundiger Drucker und Buchhändler warteten. Am 13. Februar 1735 unterzeichnete Abraham Vandenhoeck dann den Hauptvertrag, der ihm das Privileg zum Verlegen von Büchern gab.
Die beiden Vandenhoecks waren evangelisch-reformierter Konfession, was sowohl auf den Werdegang des Verlags als auch auf die kirchliche Situation in Göttingen Auswirkungen hatte: Als der berühmte und einflussreiche Universal-Gelehrte Albrecht von Haller an die Georg-August-Universität als Professor der Medizin und Botanik berufen wurde, vermisste er im lutherischen Göttingen eine reformierte Kirche. Durch das gemeinsame konfessionelle Exil kamen sich die Vandenhoecks und die von Hallers rasch nahe. Dies hatte sowohl persönliche wie geschäftliche Auswirkungen. So überließ Albrecht von Haller zahlreiche seiner medizinischen und botanischen Publikationen dem Vandenhoeck-Verlag und auch privat unternahmen die Familien beispielsweise gemeinsame mehrtägige Vergnügungsreisen.
Der Tod Abraham Vandenhoecks
Abraham Vandenhoeck sollte nur 15 Jahre Zeit haben, um Druckerei, Verlag und Buchhandlung zu führen: Im Hochsommer 1750 starb er im Alter von 50 Jahren, woraufhin die 41-jährige Witwe Anna Vandenhoeck die Arbeit ihres Mannes fortsetzte. Es scheint als sei die Alleinerbin von Druckerei, Verlag und Buchhandlung nicht unvorbereitet gewesen, unmittelbar nach Vandenhoecks Tod hatte sie bereits zugesichert, die bereits in Produktion befindlichen Bücher herauszubringen.
Darüber hinaus erwies sich Anna Vandenhoeck als umsichtige und verhandlungsstarke Verlegerin, die sich nicht scheute, den Kontakt zur intellektuellen, damals natürlich vor allem männlichen Elite aufzunehmen und deren Verbindungen zu nutzen. Dabei zählten das Ehepaar von Haller sowie der Minister und Universitätsgründer Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen zu ihren wichtigsten Unterstützern. Verlagsintern wuchs derweil der junge Carl Friedrich Günther Ruprecht, den ihr Mann Anfang 1748 als Lehrling aufgenommen hatte, zu einer elementaren Stütze heran.
Der Vandenhoeck-Verlag unter Anna Vandenhoeck
Anna Vandenhoeck trat als allein haftende Verlegerin auf, die wirtschaftliche Erkenntnisse sowie unternehmerische Entschlusskraft an den Tag legte, die zeitlebens alle Autorenverträge – auch noch zu Zeiten der Geschäftsführung durch Carl Friedrich Günther Ruprecht – unterschrieb. Ihre Verlagstätigkeit fällt zudem in den Zeitraum des beginnenden Aufschwungs der Georgia Augusta zu einer führenden deutschen, wenn nicht gar europäischen Universität. Die Universität bot mit ihrer weitgehenden Zensurfreiheit für Professoren und Studenten eine große Strahlkraft und war höchst attraktiv. Dort gelang es Anna Vandenhoeck auch aufgrund ihrer englischen Wurzeln und ihres vermögenden familiären Hintergrundes höchstwahrscheinlich, sich über den Kreis der Frauen mit hohem gesellschaftlichem Stand hinaus auch in den Kreis der Professoren hineinzubewegen. Schließlich hatten nicht wenige Verbindungen zu englischen Kollegen und Studenten.
Anna Vandenhoeck nutzte die daraus resultierenden Chancen, neuberufene Professoren sowie die Kontakte ihres Mannes, die sie weiterhin pflegte und intensivierte, als Autoren für den Verlag zu gewinnen. Zahlreiche Göttinger Straßen tragen heute noch die Namen von damaligen Autoren des Verlagshauses, beispielsweise von Haller, Roederer oder Schlözer um nur ein paar von ihnen zu nennen. Anna Vandenhoeck war zudem stets darauf bedacht, im Rahmen ihres Verlagsportfolios auch fremdsprachige Literatur anzubieten, um die Bedürfnisse der Professoren der Georgia Augusta optimal zu erfüllen.
Dass ihr dies ein wichtiges Anliegen gewesen ist, zeigt sich auch anhand des zu Beginn der 1780er Jahre gegründeten Lesezirkels, in dem ausländische Zeitungen und Zeitschriften angeboten wurden. Mit der Gründung und Etablierung dieses Lesezirkels bewies der Verlag, dass er am Puls der Zeit handelte, Neuerungen wohlgesinnt gegenüberstand und an der Popularisierung von Buch und Bildung aktiv mitwirkte. Die Mittel dazu hatte sich Anna Vandenhoeck in den vorherigen Jahren in hinreichendem Maße erarbeitet.
Am 05. März 1787 starb Anna Vandenhoeck im Alter von 78 Jahren. Als Universalerben setzte sie Carl Friedrich Günther Ruprecht ein, dessen Nachfahren den Verlag nicht nur durch das Hinzufügen Ihres Familiennamens zum Verlagsgruppen- und Markennamen bis heute prägen.
Anna Vandenhoeck im Gedächtnis Göttingens
Dass die Geschichte des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, dessen Geschicke in der Gründungsphase von einer klugen und mutigen Frau gelenkt wurden, noch lange kein Ende hatten, ist besonders in Göttingen hinlänglich bekannt. Auch heute ist Anna Vandenhoeck in der Stadt über den Verlagsnamen hinaus noch präsent. Auch der nach ihr benannte Anna-Vandenhoeck-Ring sowie das ihr gewidmete Denkmal erinnern an diese bedeutende Verlegerin Göttingens. Die in Kooperation mit der Abteilung Komparatistik der Georg-August-Universität Göttingen ins Leben gerufene Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur für Literaturkritik soll zudem den Blick auf die kulturelle und intellektuelle Bedeutung Anna Vandenhoecks stärken.
Stefan Lemke