»Angstmacher« und die eigene Inkompetenz

Am einfachsten lässt sich das Gefühl von Inkompetenz erzeugen, wenn die Angstmacher es schon vorher geschafft haben, ihren späteren »Opfern« alle Probleme abzunehmen und alle Schwierigkeiten beiseite zu räumen, so dass diese möglichst wenig Gelegenheit hatten, sich die für die Lösung von Problemen und die Bewältigung von schwierigen Situationen erforderlichen Kompetenzen anzueignen.
Je lebensuntüchtiger ein Mensch durch all diese Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen – auch durch die ständige Nutzung Sicherheit suggerierender Gerätschaften und Hilfsmittel – geworden ist, desto leichter lässt er sich durch die Ankündigung einer bevorstehenden Bedrohung in Angst und Schrecken versetzen.
Es spielt auch keine Rolle, ob die Vorstellung, etwas sei gefährlich, im eigenen Hirn entsteht oder durch andere Personen geweckt und geschürt wird. In beiden Fällen kommt es zu der gleichen sich im Hirn ausbreitenden Inkohärenz. Deshalb funktionieren ja alle Angst einflößenden Manipulationsversuche durch andere Personen so gut. Und natürlich funktionieren sie bei all jenen am besten, deren Vertrauen in die eigenen Kompetenzen ohnehin schon nicht sehr groß ist, die niemanden kennen, der ihnen in der Not beistehen würde, und die auch nicht darauf vertrauen können, von irgendetwas Größerem in dieser Welt beschützt und gehalten zu sein. Solche Menschen lassen sich am leichtesten in Angst und Schrecken versetzen. Und sie sind auch die Lieblingsbeute aller Angstmacher. Ihnen lässt sich am leichtesten einreden, was sie tun oder lassen müssten, welches Mittel und welche Gerätschaften sie kaufen sollen, damit sie endlich keine Angst mehr zu haben brauchen.

Je weniger ein Mensch weiß und kann, desto leichter lässt sie oder er sich angesichts bedrohlicher Geschehnisse oder angekündigter Gefahren in Angst und Schrecken versetzen. Die Fähigkeit, Gefahren kompetent einzuschätzen und durch geeignete Maßnahmen zu bewältigen, ist der für die eigenen Lebensgestaltung wichtigste Bestandteil dessen, was unter »Bildung« zu verstehen ist. Diese Bildung für ein gelingendes, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben ist etwas anderes als die Ausbildung für eine spätere Berufstätigkeit. Heranwachsende brauchen eine Vielzahl von Orten und Gelegenheiten, um eigene Erfahrungen bei der Bewältigung schwieriger Situationen zu machen und sich diese Art von Bildung anzueignen. Wer ihnen solche Erfahrungen vorenthält, macht sie zu hilflosen oder gar willfährigen Opfern all jener, die die Angst zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen instrumentalisieren. Unser primär auf eine optimale Ausbildung für das spätere Berufsleben ausgerichtetes Schulsystem macht Heranwachsende und damit auch die daraus hervorgehenden Erwachsenen anfällig für die von Angstmachern verbreiteten Botschaften.

Gerald Hüther

Im September erschien Gerald Hüthers neues Buch »Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen«.

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