Heute gelangt man mit Fernflügen in weniger als einem Tag ans andere Ende der Welt; früher musste man Monate lang Ozeane queren, um ans Forschungsziel zu gelangen. Hier stellt sich die Frage: Was mach(t)en Forscher bis sie endlich dort sind, wo sie eigentlich hinwoll(t)en? Wie schlägt man die Zeit tot und welchen Zoff hat man, ehe man am Ziel ist.
Sich diesem Aspekt zu widmen ist vor allem bei Ozeanreisen des 19. Jahrhunderts ein ergiebiges Thema. Ein Klassiker ist die Weltumsegelung der Fregatte Novara in den Jahren 1857 bis 1859. Die Mannschaft bestand aus 317 Mann. „234 Mann Bootsleute, Matrosen und Schiffsjungen, 33 Mann Infanterie, 14 Mann Artillerie, 16 Handwerker, 2 Köche, 2 Speisemeister, 9 Privatdiener und 7 Mann Musik. Mit dem Ihnen bekannten Kontingent von 6 Personen, das Wien gestellt (Naturforscher und Maler). Alles in Allem sind 354 Köpfe an Bord.“ Nachzulesen im dreibändigen Novara-Werk von Karl von Scherzer (1821–1903), das in den frühen 1860er-Jahren erschien.
Unter den Naturforschern befand sich der Geologe Ferdinand von Hochstetter (1829–1884). Neben seinen geologischen Forschungen war er auch ein eifriger Chronist auf hoher See. Nach einem Jahr resümiert er: „Wenn ich den Seeweg, der hinter uns liegt, von Mittagspunkt unserer Fahrt zu Mittagspunkt zusammenrechne, so ergibt sich die nicht geringe Anzahl von 20.773 Seemeilen, und wenn ich die Tage zusammenzähle, die wir zur See zugebracht, so sind es 238 Tage, 2/3 des Jahres, 127 Tage bleiben für die Aufenthalte am Land, für 9 verschiedene Stationen, deren Bilder in der Erinnerung vorüberziehen, fast wie Traumbilder. Die Küsten schon von drei Welttheilen hat Oesterreichs Flagge begrüßt.“ Also, was taten die Männer auf See; Zeit hatten sie ja genug?
1857 bis 1859 auf der Novara: regelmäßige Beschäftigung der Mannschaft
Putzen und Reinigen waren die wichtigsten Tätigkeiten des Tages an Bord. Der Zweck war ein zweifacher: Reinlichkeit aus hygienischen Gründen war ebenso wichtig wie die regelmäßige Beschäftigung der Mannschaft. Das Ritual begann nach dem Wecken um 5 Uhr Früh. „Dies ist die geschäftigste Zeit des Tages und für den Zuschauer zugleich die unbehaglichste. Ueberall wird gescheuert, gefegt und gereinigt, ganze Fluten von Wasser stürzen auf den Boden der Batterie und des Verdecks, und wer noch nicht genug Vertrautheit mit dieser Waschmethode besitzt, um sich schnell nach einem sichern Punkte zu retten, der läuft Gefahr, sobald er sich außerhalb der vier Wände seiner Cabine nur blicken läßt, sogleich auch tüchtig durchnäßt zu werden. […] Um sieben Uhr erhielten die Matrosen das Morgenbrot, um acht Uhr nahm man das Frühstück an der Officierstafel, um neun Uhr an jener des Commodore ein.“ Danach begann die Reinigung der Waffen, der Kanonen und „überhaupt aller zum Gefechtsposten gehörigen Metaltheile“. Dazu, man würde es nicht glauben, spielte die Bordkapelle „heitere Weisen“.
Die tägliche Arbeit der Matrosen auf der Novara bestand in erster Linie aus Reinigungsarbeiten. © Novara-Werk / Scherzer
Tagsüber trafen sich Offiziere, Kadetten und Naturforscher im sogenannten Kanonenzimmer, wo sich die „eigens für die Zwecke der Reise zusammengestellte reichhaltige Bibliothek“ befand. Hier war Reiseliteratur zu finden, wichtige wissenschaftliche Werke über all jene Länder, die die Novara ansteuerte. Scherzer im Detail: „Die Zeit von zehn bis drei Uhr wurde hauptsächlich mit Studien und wissenschaftlichen Arbeiten aller Art ausgefüllt, während sich die Mannschaft mit Exerciren u. s. w. beschäftigte; eine solche Thätigkeit ist zugleich die beste Waffe gegen Heimweh und Langeweile und somit auch das beste Bewahrungsmittel gegen gewisse Leiden, welche vielfach nur die Folge eines unthätigen Lebens sind. Wir glauben auch die Ueberzeugung aussprechen zu dürfen, daß sich die Seekrankheit, dieses hartnäckigste aller Uebel, durch jene wohlthätige Zerstreuung, welche eine ernste fortgesetzte Beschäftigung gewährt, nicht nur vermindern, sondern vielleicht sogar gänzlich unterdrücken lasse.“
1954 auf der Viktoria von Genua nach Karachi: üppige Kulinarik
Als Wolfgang Pillewizer (1911–1999) im Jahr 1954 als Leiter der DÖHKE (Deutsch-Österreichischen Himalaya-Karakorum-Expedition) nach Asien aufbrach, bestieg er mit seinen Mannen am 28. April in München den Zug, querte die Alpen und schiffte sich am 30. April auf der Viktoria „ein ganz neues 11000 Tonnen Schiff des Lloyd Triestino“ ein. Die Tagebücher von Pillewizer und Karl Heckler (-1954) geben Einblick in das Leben an Bord, das keine Spur von Expeditionsstress erkennen lässt. Die Männer der elfköpfige Expeditionstruppe ließen es sich, jeder auf seine Weise, gut gehen. Im Mittelpunkt stand Kulinarik. Sie wurden dem Kapitän, einem alten Österreicher, vorgestellt. Der fand sie sympathisch und wies den Obersteward an, dass sie essen könnten, so viel sie wollten. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen „Allerdings hatten wir das vorher schon getan, Heckler prägte den Ausdruck: ‚Frißt wie ein Bergsteiger!‘ “ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und genossen die kulinarische Vielfalt, die in großer Menge angeboten wurde. „Zur Erholung von diesen Strapazen spielen wir Tischtennis und Shuffleboard mit großartigen Sprüchen von Heckler“, notierte Pillewizer in seinem Tagebuch.
An Bord der Victoria wurden Pillewizer (Zweiter von links) und seine Mannen kulinarisch verwöhnt. © Pillewizer-Nachlass
Die Frage, was gegessen wurde, „beantwortet“ ein Brief von Pillewizer, den er auf der Fahrt durch den Suezkanal am 5. Mai an seine Frau schrieb. Er zeigt sich voll Reue, dass er so viel isst und bekennt: „Heute habe ich mein Essen eingeschränkt, denn es geht nicht an daß ich täglich folgende Massen vertilge.“ Hier gilt es einen Blick auf die Teller zu machen: Zum Frühstück (von 7 bis 9 Uhr) aß man „Porridge, zwei Spiegeleier mit Schinken, Brötchen, Butter, Marmelade, Kaffee, Tee oder Kaokao [sic]“. Um 12 Uhr folgte das Mittagessen, von dem sicher auch keiner hungrig vom Tisch ging. Es gab: „Vorspeise (kalte, pikante Sachen, Thunfisch etz.), Suppe, Spaghetti (Pasta asciutta), Curry-Reis mit Hammel oder Huhn, Braten oder Schnitzel mit Beilagen, Torte, Eis, Obst, Käse, Kaffee.“ Offen bleibt für die Frage: Was wurde dazu getrunken? Jedenfalls wären nach dieser üppigen Speisenfolge ein Schnaps und ein Mittagsschläfchen angebracht. Relativ „bescheiden“ nahm sich der Tee um ½ 5 Uhr aus. Man reichte: „Tee oder Kaffee, Keks, Toast, Butter, Marmelade“. Doch mit dem Abendessen kam wieder die nächste große, wenngleich auch nicht neue kulinarische Herausforderung auf die Männer zu: Es gab um 7 Uhr abends „ungefähr dasselbe wie zu Mittag“.
1892 im Himalaya: Carl Dieners Begegnungen mit Schafherden
Der Weg zum Ziel ist nicht immer von üppigen Speisefolgen begleitet, manche sind es „nur“ Schafe, die im Weg stehen und jedes Fortkommen behindern. Wie nervig das sein kann, musste der alpinerfahrene Geograf und Geologe Carl Diener (1862–1928) im Jahr 1892 bei seiner Himalayaexpedition erleben. Diener wusste, dass seine Reiseberichte das Interesse der Leserschaft weckten und dementsprechend war er ein genauer Beobachter von Land und Leuten, d alles festhilet, auch „unwissenschaftliche“ Erlebnisse. „Der tibetanische Grenzhandel ist die Quelle dieses Wohlstandes der Bewohner. Nach der Zahl der Schaf- und Ziegenherden zu urtheilen, die wir auf dem Wege nach Milam und weiter hinauf zu den Grenzpässen antrafen, muss dieser Handel ein ganz bedeutender sein. Jedes der Thiere trägt eine Last von zehn bis zwanzig Pfund in einer Art Satteltaschen, die zu beiden Seiten des Rückens aufgepackt werden."
Begegnungen mit Schafherden auf schmalen Gebirgswegen gehören zu den unangenehmen Erlebnissen. © Slg Hofmann
„Im Frühjahr, sobald die Pässe zugänglich sind, treten die Karawanen mit tausenden solcher Schafe und Ziegen, die mit Mehl und Reis beladen sind, die Wanderung gegen Norden an, um im Herbst mit Salz, Wolle und Borax, den Ausfuhrartikeln von Hundes, zurückzukehren. Für den Himalaya-Reisenden gehören die häufigen Begegnungen mit den Schafherden und den dieselben begleitenden prächtigen Hunden von tibetanischer Abkunft nicht gerade zu den Annehmlichkeiten, besonders, wenn man mit einem solchen Zuge, der sich oft über einen Kilometer ausdehnt, in gleicher Richtung marschiert. Auf den schmalen, durch die darüber hinziehenden Herden ganz schlüpfrig gewordenen Pfaden drängen sich die Thiere alsdann zu einem compacten Knäuel zusammen, der ein Ausweichen schwierig macht, und halten trotz aller Stockhiebe und Fußtritte eigensinnig die Bergseite fest. Wenn auf diese Weise die drei- und vierfache Zeit als sonst zur Zurücklegung einer Strecke nöthig wird, so bleibt nichts übrig, als sich mit jener Geduld zu wappnen, die jeder Besucher des Orients erlernen muss, besonders wenn eine solche Begegnung während eines niederprasselnden Monsunregens stattfindet und die Feuchtigkeit von den nassen Fellen der herandrängenden Schafe schließlich auch durch den besten Wettermantel hindurchgeht.“
So trivial die Begegnung mit einer Schafherde auch klingen mag, wenn es an Platz fehlt, es noch dazu regnet und man vielleicht sogar noch hungrig und müde ist, dann würde man sich sicher andere Begegnungen und Erlebnisse wünschen.
Thomas Hofmann
Thomas Hofmann studierte Erdwissenschaften an der Universität Wien, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und des BLOGS Wissenschaftsgeschichte(n) im Standard.at.
Sein aktuelles Buch »Abenteuer Wissenschaft. Forschungsreisende zwischen Alpen, Orient und Polarmeer« beschäftigt sich mit dem Alltag von Naturforschern, ob auf hoher See, im Polarmeer oder im Hindukusch. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der emotionalen, der menschlichen Seite der Forscher, bei ihrer Suche nach neuen Erkenntnissen. Das Buch steht auf der Shortlist zum »Wissenschaftsbuch des Jahres 2021« in Österreich. Das öffentliche Voting findet noch bis zum 11. Januar 2021 auf http://www.wissenschaftsbuch.at/ statt.
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Titelbild: Wolfgang Pillewizer (3. von rechts) und seine Begleiter wurden am 12. Mai 1954 mit Blumengirlanden in Karatschi (Pakistan) begrüsst. © Pillewizer-Nachlass