Wir trauern um unseren Autor Prof. Dr. Joachim Gnilka, der am 18. Januar 2018 im Alter von 89 Jahren verstorben ist. Wir möchten allen Angehörigen und Trauernden unser Mitgefühl aussprechen.
Nachruf der Herausgeber des Evangelisch-Katholischen Kommentars zum Neuen Testament auf Joachim Gnilka (1918 – 2018)
Mit Trauer teilen wir mit, dass Professor Dr. Joachim Gnilka vor einer Woche in seinem 90. Lebensjahr verstorben ist. Er gehörte zu der ersten Generation der Mitarbeiter am Evangelisch-Katholischen Kommentar und war von 1992 bis 2002 auch einer von dessen Herausgebern.
Am 8. Dezember 1928 in Leobschütz (Schlesien) geboren, studierte Joachim Gnilka in Eichstätt, Würzburg und am römischen Bibelinstitut. 1955 wurde er an der Universität Würzburg bei Rudolf Schnackenburg mit einer Arbeit zur Eschatologie des Ersten Korintherbriefs promoviert, 1959 habilitierte er sich in Würzburg mit der Untersuchung „Die Verstockung Israels. Isaias 6,9–10 in der Theologie der Synoptiker“. Bereits in jungen Jahren wurde er 1962 zum ersten Professor für biblische Zeitgeschichte und biblische Hilfswissenschaften an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster berufen; ein Jahr später übernahm er den Münsteraner Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testaments. Von 1975 bis zu seiner Emeritierung 1997 wirkte er als Ordinarius für Neutestamentliche Exegese und biblische Hermeneutik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die fast 65 Jahre, in denen sich Joachim Gnilka der exegetischen Forschung widmete, spiegeln den Umbruch der katholischen Bibelwissenschaft wider. Er gehört zu den ersten Neutestamentlern im deutschsprachigen Raum, die über die Funde in Qumran arbeiteten. Über die Grenzen der Konfessionen hinweg wurde er einem breiten Leserkreis durch seine umfassenden Monographien über Jesus von Nazaret, Paulus, die Geschichte des Urchristentums und die Theologie des Neuen Testaments bekannt. Seine Kommentare zum Matthäus- und Johannesevangelium sowie zu den Briefen an die Epheser, Philipper, Kolosser und Philemon haben Generationen von Theologen und Theologinnen in Wissenschaft, Schule und kirchlichem Dienst begleitet. Im EKK hat Joachim Gnilka 1978/79 in zwei Bänden, die zuletzt 2015 aufgelegt wurden, mit der für ihn kennzeichnenden Prägnanz und Verlässlichkeit das Markusevangelium bearbeitet. Auch nach seiner Emeritierung ruhte sein Schaffensdrang nicht. So wandte er sich, durch seine Arabischkenntnisse dazu gut präpariert, den Themenfeldern Bibel/Koran, Jesus/Mohammed, Christentum/Islam zu. Sein Interesse an anderen Kulturen hat ihn auch dazu geführt, mit Entdeckerlust und Neugier abenteuerliche Reisen in ferne Länder zu unternehmen, um so, selbst innerlich bereichert, anderen die erlebten Welten zu eröffnen.
Für die katholische Kirche war Joachim Gnilka ein führender Repräsentant der neuen Rolle der historisch-kritischen Exegese. Er hat die Umbrüche in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil theologisch begleitet und für das kirchliche und ökumenische Leben fruchtbar gemacht. Von 1973 bis 1988 war er als Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission, von 1986 bis 1997 als Mitglied der Internationalen Theologenkommission auf der weltkirchlichen Ebene tätig. Er nahm mit einem starken persönlichen Engagement an dem ökumenischen Aufbruch teil, der 1980 zur Einheitsübersetzung führte. Als einziges Mitglied der ersten Generation war er auch, und zwar in verantwortlicher Stellung, an der Revision der Einheitsübersetzung von 2017 beteiligt.
Eine wertvolle Frucht der Lebensarbeit von Joachim Gnilka ist sein ungewöhnlich zahlreicher Schülerkreis, der durch seine theologische und kulturelle Vielfalt besticht. Zu ihm gehören bekannte deutschsprachige Lehrstuhlinhaber ebenso wie Bischöfe und Theologen und Theologinnen aus Osteuropa, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika. Unter den Herausgebern und Autoren des EKK sind nicht wenige Schüler von Joachim Gnilka oder wiederum deren Schüler. Der Gelehrte hat das Signum des EKK besonders eindrücklich verkörpert: die Mischung aus kritischem Fachgespräch, ökumenischer Offenheit und persönlicher Freundschaft. Vielleicht bringt der Titel einer Schülerfestschrift zum 80. Geburtstag den roten Faden im Lebenswerk des Verstorbenen am tiefsten zum Ausdruck: Grenzüberschreitungen.
Mit einer solchen Grenzüberschreitung – hier zwischen systematischer und biblischer Theologie – lässt Joachim Gnilka seinen Markuskommentar ausklingen:
»So bietet sich das Markusevangelium dem Exegeten, dem Theologen und dem Christen unserer Tage an. Weil es unseren Blick auf das Kreuz Jesu Christi hinlenkt, empfiehlt es sich als für unsere leidvolle und zerrissene Zeit passende Realisierung des Evangeliums. Weil es mit seiner breiten Schilderung der Wundertätigkeit Jesu auf die vielfältige Not und das große Elend der Menschen aufmerksam macht, erweckt es unsere Bereitschaft zur Hilfe in einer Welt, in der Fortschritt und Verelendung fast parallel und stetig voranschreiten. Weil es von der Auferstehung Jesu von den Toten kündet, gibt es uns Hoffnung.«
In dieser Hoffnung hat Joachim Gnilka die Grenze ins österliche Leben überschritten. Wir sind dankbar für diesen stets wachen und gesprächsfreudigen Kollegen, väterlichen Freund und exegetischen Grenzgänger.
21. Januar 2018
Knut Backhaus
Christine Gerber
Thomas Söding
Samuel Vollenweider