Vor 100 Jahren wurde heute einer der bedeutendsten deutschen Historiker geboren: Reinhart Koselleck.
Geschichte war für den 1923 in Görlitz geborenen Koselleck immer auch eine Erfahrungswissenschaft. Seine Sicht auf die Welt und sein Verständnis der Historie waren deshalb sehr interdisziplinär geprägt und koloriert durch seine eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrungen. Die Gewalterfahrungen des zweiten Weltkrieges und der NS-Zeit formten nicht nur das kollektive Gedächtnis seiner Generation, sondern wurden für Reinhart Koselleck auch zu einem Gegenstand intellektueller Reflexion. Als Sohn eines Geschichtslehrers und einer streng calvinistischen Mutter wuchs er in einem bildungsbürgerlichen Milieu auf und wurde 1934 Teil der Hitlerjugend. Nachdem Koselleck 1941 national und konservativ gesinnt wie viele seiner Klassenkameraden in den Krieg eingetreten war und sich im militärischen Einsatz bewähren wollte, durchlief er dort einen politischen Lernprozess. Seine ernüchternden Erfahrungen führten ihn mehr und mehr zu der Erkenntnis seiner ideologischen Vereinnahmung und resultierte in einer zumindest inneren Distanzierung von den politisch geforderten Anpassungen an die NS-Ideologie.
Bei seinen Studien war es nicht nur die Gewalt des Kriegs, die Koselleck historisch einordnen wollte, sondern die Formulierung einer Utopie als Voraussetzung für jede Form von Weltanschauungskrieg. Angesichts der aktuellen angespannten weltpolitischen Lage und dem zunehmenden Erstarken nationalpolitischer Strömungen verdeutlicht eine Beschäftigung mit Reinhart Kosellecks Lebenswerk das fortwirkende Potenzial seiner Geschichtsschreibung.
Anlässlich der Jährung seines Geburtstages lohnt sich ein Blick in den Sammelband »Reinhart Koselleck als Historiker« herausgegeben von Manfred Hettling und Wolfgang Schieder. Die Beiträge geben einen umfassenden Einblick in Kosellecks Lebenswerk und seine Art des Denkens und Fragens: Unter anderem stellen Manfred Hettling und Wolfgang Schieder in »Theorie des historisch Möglichen. Zur Historik von Reinhart Koselleck« eine Beziehung zwischen den biographischen Erfahrungen Kosellecks und seiner Geschichtsrezeption her. Weiterhin reflektiert Christof Dipper in »Der Gelehrte als Schüler« den Briefwechsel zwischen dem Historiker und dem Staatsrechtler Carl Schmitt und lässt mit dieser Gelehrtenkorrespondenz ein wichtiges Kapitel der bundesrepublikanischen Ideengeschichte Revue passieren.
Weiterführend soll an dieser Stelle auf das Buch »Ein Labor der Sozialgeschichte - Die Entwicklung des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte seit 1956« von Ullrich Engelhardt verwiesen werden, welches Reinhart Kosellecks Arbeit, insbesondere sein Wirken im Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte darstellt.