Die USA wie die Sowjetunion als „Länder der Zukunft“ waren in der Zwischenkriegszeit ein machtvoller Einfluss auf die Visionen eines zukünftigen Deutschlands. Das Buch von David M. Franz untersucht die in den Printmedien der Weimarer Republik erzeugten, widerstreitenden Bilder der USA und der UdSSR, die den öffentlichen Diskurs über gesellschaftliche Modernisierungsprozesse prägten.
Nach dem Krieg war es offenkundig: Das alte deutsche Staats- und Gesellschaftsmodell war gescheitert. Ein und dieselbe Gesellschaft fand sich nun in einer neuen Zeit wieder und hatte einen großen Bedarf an Selbstvergewisserung, da sich die alten Gewissheiten als Trugbilder aus Idealismus und Nationalismus entpuppt hatten. Der Alltag der Weimarer Republik war von harten politische Auseinandersetzungen verschiedener Lager geprägt: Parteigänger, Kirchenleute, Links- und Rechtsradikale sowie Vertreter diverser gesellschaftlicher Klassen diskutierten Themen wie Kaiser, Krieg, Revolution, Wirtschaftskrise, Völkerbund und Notverordnung. In diesem aufgeladenen Alltag fiel es umso schwerer, tiefgreifende Themen wie die Modernisierung mitsamt dem raschen Wandel der politischen Ordnung, des Wirtschaftsprozesses und der Geschlechterrollen verständlich zu machen und im gleichen Maße an die eigene Weltanschauung oder Zukunftsvision anzupassen. In Rahmen dieses allgegenwärtigen Spannungsverhältnisses fiel den USA wie der Sowjetunion eine besondere Rolle zu – beide wurden als staatgewordene Modernisierungsprojekte wahrgenommen.
Der Gegensatz aus amerikanischem Liberalismus und sowjetischem Autoritarismus stellten so ein noch produktiveres Spannungsfeld zur Selbstverortung der deutschen Gesellschaft dar und bildeten ein Spektrum möglicher Entwicklungspfade.
Amerika als Chiffre der Moderne, die Sowjetunion als kommunistische Utopie
Amerika erschien zugleich als Fluch wie als Segen der Moderne und diente als feste Bezugsgröße als Individuum wie als Gesellschaft, die eine Positionierung nach sich zog. Über Amerika – als Chiffre der Moderne – zu sprechen, war entweder Loblied oder Lamento auf die moderne Zeit. Die 1917 in Russland angestoßenen Umwälzungen hatten wiederum ihren eigenen Anspruch an die Moderne, die Welt einer kommunistischen Utopie entgegenzuführen.
Die USA wie die Sowjetunion vertraten den Standpunkt die Moderne zu ihrem Recht verhelfen zu müssen. Diesem Anspruch war die Weimarer Republik besonders und wechselvoll ausgesetzt. Die USA war für die Weimarer Republik die schicksalsgestaltende Macht des Abendlandes und verfügte über eine Gestaltungsmacht für ein zukünftiges und zukunftsfähiges Deutschland. Die Sowjetunion und die Weimarer Republik wiederum waren zwangsläufig aufeinander angewiesen und gewissermaßen in einer Form von Symbiose miteinander verbunden. Zu diesem Urteil kamen auch sozialistisch gesinnte Publizisten.
USA und Sowjetunion in den Massenmedien der Weimarer Republik
Aufgrund dieser Voraussetzungen in der Weimarer Republik betrachtet David M. Franz in seinem Buch die Modernitätsdiskurse, die in der Massenpresse visuell wie textuell vielfach vertreten waren und die Spezifika der deutschen Wahrnehmung von USA und Sowjetunion als staatliche Beispiele für Modernisierung abbildeten. Die Studie untersucht die medial breit gehaltene und massenmediale Perspektive von Tageszeitungen und Illustrierten. Die Massenmedien in der Weimarer Republik waren ganz klar in der Lage durch ihre gewachsene Bedeutung, politische und gesellschaftliche Debatten stark mit der öffentlichen Meinungsbildung zu verzahnen. Dies ging so weit, dass sich die öffentliche Meinung maßgeblich im Kontext der Massenmedien formierte. Die Verflechtung von Presse und Politik hatte einen symbiotischen Charakter, sodass politische Handlungen und gesellschaftliche Entwicklungen der Zeit nicht ohne begleitende Medienberichterstattung zu verstehen sind. Hin und wieder konnte politische Handeln sogar als Reaktion auf die Medienwirklichkeit bewertet werden.
Hier setzt David M. Franz an, die widerstreitende Darstellungen beider Länder in den führenden deutschen Printmedien der Zeit miteinander zu vergleichen und in die gesellschaftlichen Bedingungen der Zwischenkriegszeit einzubetten.