Wir trauern um unseren Autor Prof. Dr. Gerd Lüdemann, der am 23. Mai 2021 im Alter von 74 Jahren verstorben ist. Wir möchten allen Angehörigen und Trauernden unsere Anteilnahme und unser herzlichstes Beileid aussprechen.
Gerd Lüdemann studierte von 1966 bis 1971 Theologie an der Georg-August-Universitöt in Göttingen. Geprägt wurde er hier besonders von Carl Andresen, Hans Conzelmann und Georg Strecker, der auch sein späterer Doktorvater war. Lüdemann wurde 1974 mit der Dissertation »Untersuchungen zur simonianischen Gnosis« promoviert. Darauf folgend ging er 1974/75 als Assistent von W. D. Davies (Duke University, Durham, NC) in die USA. In der Zeit als wissenschaftlicher Assistent von Georg Strecker (1975–1977) habilitierte er sich 1977 mit »Studien zur Chronologie des Paulus« für das Fach »Neues Testament«. Im Anschluss kehrte er nach Nordamerika zurück und arbeitete von 1977 bis 1979 in einem Forschungsprojekt an der McMaster University (Hamilton, Ontario, Kanada). Von 1979 bis 1982 war er als Assistant Professor an der Vanderbilt University (Nashville, TN) tätig.
Von 1980 bis 1983 wurde ihm durch ein Heisenberg-Stipendium eine Phase intensiver Forschungstätigkeit ohne Lehrverpflichtung ermöglicht. 1983 wurde Lüdemann als Nachfolger von Ulrich Luz an die Universität Göttingen berufen. Hier gründete er 1987 das »Archiv Religionsgeschichtliche Schule«, welches der Erforschung jenes um 1900 in Göttingen entstandenen Zweiges der deutschen liberalen Theologie dient, dem sich Gerd Lüdemann besonders verbunden fühlte.
Zum einen erwarb sich Gerd Lüdemann durch die wissenschaftliche Breite seiner historisch-orientierten Forschung, die neben Paulus und Jesus besonders der Apostelgeschichte, dem Judenchristentum und der Gnosis (Nag-Hammadi-Schriften) galten, sowie zum anderen durch seine internationale Vernetzung eine hohe wissenschaftliche Reputation. In Rahmen seiner Lehrtätigkeit konnte er die Studierenden für eine intensive, kritische Auseinandersetzung mit den geschichtlichen und theologischen Themen der frühchristlichen Literatur gewinnen.1994 erschien Lüdemanns Arbeit »Die Auferstehung Jesu«, in der er die Existenz eines »leeren Grabes« bestreitet und die österlichen Visionen der Schülerschaft Jesu nicht als Folge von dessen »Auferstehung«, sondern diese auf psychologisch erklärbare Phänomene zurückführt. Damit löste Lüdemann eine heftige öffentliche Debatte über die Verlässlichkeit der Grundlagen des christlichen Glaubens aus, deren Ton sich in Streitgesprächen und zahlreichen weiteren Veröffentlichungen verschärfte. Gerd Lüdemann geriet darüber in Konflikt mit der bekenntnisgebundenen Göttinger Theologischen Fakultät, woraufhin ab 1999 seine Vertretung des Faches »Geschichte und Literatur des frühen Christentums« folgte, das kein Bestandteil der Pfarr- und Lehramtsstudiengänge war. Gerd Lüdemann hielt an seiner Position fest, dass seine Aussagen über die Unglaubwürdigkeit des christlichen Glaubens von der Forschungs- und Lehrfreiheit gedeckt seien. In diesem Zusammenhang führte er in langjährigen Prozessen Klage auf Wiedereinsetzung in sein ursprüngliches Amt, 2008 wurde dieses Bestreben vom Bundesverfassungsgericht endgültig abgewiesen.
Gerd Lüdemanns wissenschaftlicher Anspruch bestand darin, die Wahrheit im Rahmen seiner Forschungen zu erkennen und ohne Rücksichtnahme auszusprechen. Vor diesem Hintergrund er die Auferstehungsfrage beantworten wollen und sich auf christentumskritische Themen konzentriert. Weitere Bereiche seiner breitangelegten Forschungen traten in den Hintergrund. Projekte wie die Fertigstellung seiner Paulus-Trilogie (Band 1 (1980), Band 2 (1983)) oder die Kommentierung der Pseudoklementinen wurden trotz umfangreicher Vorarbeiten nicht realisiert. Stattdessen blieb Jesus, obwohl als Inhalt des Glaubens für ihn erledigt, bis zu seiner letzten Veröffentlichung »Der echte Jesus. Seine historischen Taten und Worte« (2013) zentraler Gegenstand seines Denkens.
Gerd Lüdemann war dabei kein eifernder Verfechter seiner Thesen, sondern ein zugewandter Gesprächspartner. Für kritische Fragen hatte er ein offenes Ohr, in Fachdiskussionen hatte seine Meinung aufgrund seiner Kenntnis antiker Quellentexte und Forschungsliteratur besonderes Gewicht. So hat er auch in schwierigen Jahren seine Mitarbeiter:innen in ihrer wissenschaftlichen Qualifikation gefördert und die Kontakte zu Mitgliedern der Theologischen Fakultät nie abreißen lassen. Die Hochachtung, die Gerd Lüdemann genoss, zeigte sich auch in zwei Festschriften »Historische Wahrheit und theologische Wissenschaft« (1995) zu seinem 50. und »Frühes Christentum und religionsgeschichtliche Schule« (2011) zu seinem 65. Geburtstag.
Dieser Text ist angelehnt an den Nachruf der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Den Nachruf der Theologischen Fakultät finden Sie hier.