Dr. Wiebke-Lena Laufer schrieb ihre Doktorarbeit über Konfliktberatung durch Mediation. Ein Gespräch über das Streiten im Kleinen und Großen. Das Interview führte Dorothee Judith Mandler für »DRAN NEXT – Magazin zum Selberglauben«.
Die Verwendung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des SCM Bundes-Verlags.
Was braucht es, damit man von einer »guten« Streitkultur sprechen kann?
Streitkultur ist Fragekultur. In einer »guten« Streitkultur befragen wir uns selbst und die anderen Beteiligten nach den Anliegen. Es gilt dabei zu vermitteln: »Ich höre dich.« Und dann in einem zweiten Schritt: »Ich verstehe von dir, dass …«. Das bedeutet nicht, dass wir richtig finden müssen, was wir hören und verstehen. Es bedeutet nur, aufrichtig bereit dazu zu sein, einen gemeinsamen Weg zu finden, um mit der Situation selbstbestimmt und akzeptierend umzugehen. Darin zeigt sich die Fähigkeit zur Selbstführungskompetenz.
Wie streitet man dann auf gesellschaftlicher Ebene?
Je mehr Personen in eine Situation involviert sind, desto mehr Interessen und Bedürfnisse wollen berücksichtigt werden. Es ist darum umso wichtiger, außenstehende Dritte hinzuzuziehen. In sehr großen Kontexten arbeitet man dann mit Interessenvertretern der im Konflikt beteiligten Gruppen. Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, muss sehr strukturiert vorgegangen werden. Ein klar umgrenztes Thema und genau geklärte Ziele helfen, dass die Situation nicht ausufert. Ein Streit auf gesellschaftlicher Ebene unterscheidet sich also nur in seinem augenscheinlich größeren Ausmaß von einem Streit auf individueller Ebene. Letztlich geht es immer um den einzelnen Menschen – auch größere Gruppen bestehen aus Einzelpersonen. Auch auf gesellschaftlicher Ebene gilt: Streitkultur ist Fragekultur.
In Gemeinden herrscht oft alles andere als Harmonie. Gibt es dort typische Konfliktkonstellationen?
Konflikte sind etwas sehr individuelles, sodass eine pauschale Antwort an der Realität vorbeiginge. In religiös geprägten Zusammenhängen geht es schnell um existenzielle Fragen. Menschen machen ihr Leben im Glauben fest und prägen dadurch ihre Lebensdeutung auf eine tiefgreifende Weise. Dabei besteht die Gefahr, die eigene Glaubenswahrheit nicht nur für sich selbst gelten zu lassen, sondern sie auch auf andere zu projizieren. Daraus folgen allgemeine Festlegungen wie »Ein guter Christ sollte…« oder »Es ist nicht christlich, wenn…«. Solche Vorstellungen lassen kaum Raum für selbstbestimmte und akzeptierende Begegnungen von Menschen.
Welchen Weg kann eine Gemeinde in solchen Spannungen dann einschlagen?
Mediatoren wissen, dass die Suche nach der »Wahrheit« ein konstruktives Vorgehen blockieren würde: Es bliebe kein Verhandlungsspielraum. Im religiösen Kontext darf deshalb geübt werden, sich weniger auf Dogmen zurückzuziehen, und sich zu fragen: »Was würde die Liebe jetzt tun?«
Wie komme ich mit Gegenwind klar, wenn ich mich für ein Anliegen stark machen will?
Das »Klarkommen« fängt schon vor dem Gegenwind an – mit einer guten Vorbereitung. Wenn wir uns für eine Sache stark machen, dann verfolgen wir damit ein für uns wichtiges Anliegen. Es ist hilfreich, wenn wir uns selbst verdeutlichen, warum sich unser Einsatz für eine Sache lohnt. Dazu können wir uns Fragen stellen wie: »Welche Werte vertrete ich?«, »Wie verstehe ich mein Leben?« oder »Wie fülle ich mein Leben mit Sinn?«. Je klarer wir über uns selbst Bescheid wissen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir nicht mehr nur reagieren, sondern agieren und entsprechende Impulse setzen. Je bewusster wir uns also darüber sind, was wir erreichen möchten und warum das im Kontext unserer persönlichen Lebensdeutung relevant ist, desto zielgerichteter handeln wir.
Was ist wichtig zu beachten, wenn ich mitten in einem Konflikt stecke?
Neben dem Kontakt zu uns selbst ist der Kontakt zu anderen wesentlich. Ebenso wie wir dafür sorgen können, uns besser zu verstehen, können wir uns auch darauf konzentrieren, andere besser zu verstehen. Dann erkennen wir, dass auch der andere Gründe für sein Handeln hat, die aus seiner Perspektive sinnvoll sind. Gegenwind ist nichts anderes als die Begegnung unterschiedlicher Sichtweisen. Und das erzeugt Reibung. Jeder Einzelne ist selbst dafür verantwortlich, wie er mit dieser Reibung umgeht.
Wie kann ich das gewinnbringend tun?
Wir können versuchen, dem Gegenwind auszuweichen oder ihn bekämpfen. Das kostet viel Kraft und mündet oft in einem unbefriedigenden Ergebnis. Wir können aber auch ein konstruktives Verhältnis zu Spannungen aufbauen, indem wir uns bewusst machen, dass »Gegenwind« eine Einladung dazu sein kann, unsere eigene Haltung zu vertreten – selbstbestimmt und zugleich den anderen akzeptierend. Spannungen können dazu inspirieren, die eigene Einstellung zu überdenken und Korrekturen vorzunehmen.
Was mache ich, wenn eine Situation so festgefahren ist, dass ich alleine nicht mehr weiterkomme?
Viele dieser Situationen können wir im Alltag gut allein lösen. Sollten sich Konflikte einmal soweit verhärtet haben, dass wir meinen, es nicht mehr allein zu schaffen, dann können wir außenstehende Dritte hinzuziehen. Mediation ist hier eine gute Methode, um einen Konflikt auf einvernehmliche Weise zu lösen. Die Konfliktpartner klären dabei selbst, wie sie mit der Situation umgehen möchten. Mediatoren setzen unter anderen den Rahmen dafür, dass die unterschiedlichen Werte der Beteiligten und ihre individuellen Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt werden.
Seit einigen Monaten gehen in Deutschland verstärkt Menschen auf die Straße, um sich politisch Gehör zu verschaffen. Wie kommt es, dass der Eindruck entsteht, in der politischen Debatte nicht mehr gehört zu werden und sich deshalb andere Ausdrucksformen gesucht werden?
Weder weiß ich, was tatsächlich dahintersteht, dass diese Menschen auf die Straße gehen – ich habe sie nicht persönlich danach gefragt – noch vermag ich zu beurteilen, ob sie nicht gehört werden. Aus meiner Perspektive als Mediatorin kann ich dazu einladen, zu hinterfragen, ob es tatsächlich um die Akutsituation selbst geht. Wenn Grundbedürfnisse über eine lange Zeit unbefriedigt bleiben, dann entladen sich die angestauten Frustrationen und Ängste durch ein Ventil.
Die Autorin:
Dr. Wiebke-Lena Laufer ist Mediatorin mit dem Schwerpunkt Wirtschaft.
Das Buch:
Konflikte und Bestrebungen, sie zu lösen, sind fester Bestandteil menschlichen Zusammenlebens. Mediation gibt eine Antwort darauf, wie Konflikte auf konsensuale Weise bearbeitet werden können. Wie und warum aber funktioniert Mediation? Und inwieweit bieten ihre anthropologischen und ethischen Implikationen Anknüpfungspunkte für die theologische Reflexion von Friedensprozessen sowie ihre praktische Initiierung? Die Autorin legt die Tiefenstruktur von Verantwortung in der Mediation frei und analysiert die Bedeutung von individuellen Prädispositionen in der Mediation. Ihre Analyse zeigt, inwieweit das mit dem Glauben verbundene Reflexions- und Begründungspotenzial die Aussichten darauf erhöhen kann, pragmatische Lösungen auf der Grundlage von Selbstbestimmtheit und Akzeptanz auszuhandeln.
© Veröffentlicht in Ausgabe 4/16 der Zeitschrift DRAN NEXT, SCM Bundes-Verlag gGmbH, www.bundes-verlag.net/zeitschrift/dran-next/. Die Verwendung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des SCM Bundes-Verlags.
Mediation und christliche Verantwortung
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