Spitzel, Spione, Geheimdienste – INDES 4/2019

Die neue INDES (4/2019) widmet sich dem Thema »Spitzel, Spione, Geheimdienste« und geht dabei den Fragen nach: Wozu dienen Geheimdienste welche Informationen? Won wem wurden und werden sie für was genutzt? Was macht eien Spion aus? Wie entwickeln sich Geheimdienste und welche Ziele verfolgen sie?

Über Fim, Hörspiel und Literatur verbreitet herrschen diverse Stereotype über Geheimdienste, Spionage, Agent*innen, verdeckte Ermittler*innen vor und schreiben sich fort, entwickeln sicht weiter – ein Knacken in der Telefonleitung, ein grauer Schlapphut, ein Trenchcoat, eine Miniaturkamera im Knopfloch und Wanzen unter dem Schreibtisch sind hier nur die bekanntesten Beispiele. Diese Bilder entstammen noch der Zeit des Kalten Krieges oder das umrahmende 20. Jahrhundert, die ersten Anläufe das Setting von Geheimdiensten und Spionage in das Zeitalter der Digitalisierung zu verschieben, wurden allerdings auch schon unternommen.

Nichtsdestotrotz: Das System der Spionage, des Ausspähens zur geheimen Informationsgewinnung ist weitaus kein Konstrukt der Moderne: Kyros der Große, Hieron I. von Syrakus oder Cäsar: Sie alle nutzten Spitzel und Spion*innen, um Informationen über Gegner, Verräter und Vorgänge im eigenen Reich zu sammeln und so die eigene Macht zu sichern. Zunächst noch durch mündliche Übermittlung, dann über Holztafeln, ausgehöhlte Spazierstöcke, Morsezeichen bis hin zu verschlüsselten digitalen Nachrichten – die Informationsweitergabe entwickelte sich immer weiter, wurde moderner und schwerer zu entschlüsseln, ohne dass sich die dahinter stehenden Intentionen grundlegend gewandelt hätten.

Ebenjene durch Spionage gewonnenen Informationen beeinflussen (und beeinflussten) politische Entscheidungen, sie stabilisieren Herrschaft und unterminieren Opposition. »Spionage gehört zu Staaten dazu, egal, ob groß oder klein, diktatorisch, monarchisch oder demokratisch, im Krieg wie im Frieden«, bilanziert der Spiegel-Redakteur Georg Bönisch die machtstützende Funktion von Geheimdienstarbeit. Dabei schürten Geheimdienste in der Vergangenheit wiederholt auch innergesellschaftliche Konflikte, gerade in Phasen innenpolitischer Polarisierung: Dafür sind besonders die Jahre des Kalten Krieges wiederholt beispielhaft. Zugleich sind die Ergebnisse von geheimdienstlicher Arbeit auch immer wieder konfliktvermeidend gewesen, wofür auch der Kalte Krieg beispielhaft ist, als die geheimdienstlichen Informationen über die Aktivitäten der jeweiligen Gegenseite mögliche Eskalationen vermieden.
Vielfach schlägt Geheimdiensten trotzdem Misstrauen entgegen, weil zwischen ihnen, ihren Aufgaben und den für Demokratien konstitutiven Freiheitsrechten ein kaum auflösbares Spannungsverhältnis besteht. Dies gilt besonders für Deutschland, wo Geheimdienste in der Historie mit Gestapo und Stasi als etwas mit der Demokratie kaum zu Vereinbarendes betrachtet werde. Doch auch darüber hinaus kollidieren Geheimdienste schon strukturell mindestens mit dem demokratischen Transparenzgebot, da sie schon dem Namen nach im Geheimen agieren und insofern wesensmäßig verdeckt arbeiten. Ohne Transparenz aber sind sowohl die Gewaltenteilung als auch die Kontrollrechte der Opposition wie ebenfalls die Willensbildung der Bevölkerung – allesamt Bestandteile des Kerngehaltes einer Demokratie – permanent zumindest gefährdet.

Brisant wird das Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Öffentlichkeit und geheimdienstlicher Tarnung, wenn die Legitimität von Spionageaktivitäten öffentlich zur Debatte steht. Denn auch wenn man deren grundsätzliche Notwendigkeit anerkennen mag, bleibt doch stets zu fragen, was als hinreichender Anlass gelten kann, wie weit geheimdienstliche Befugnisse reichen sollten und wie streng ihre Kontrolle sein muss. Mit vernichteten NSU-Akten durch Verfassungsschutz-Beamte und den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden sind nur zwei Ereignisse genannt, die den Geheimdiensten in der jüngsten Vergangenheit mediale Aufmerksamkeit verschafft haben. Dabei droht der Fokus auf Geheimdienste den Blick für die Vielschichtigkeit, für Zeitspezifika und Strukturgesetzlichkeiten geheimer Informationsgewinnung zu versperren.
Offensichtlich ist ebenfalls, dass die konkrete geheimdienstliche Arbeit einem historischen Wandel unterliegt. Auch im Hier und Jetzt finden sich verschiedenste Akteure, Methoden und Motive der Spionage. Was freilich über alle Zeiten hinweg verblüffend gleich geblieben ist, das ist das Schicksal der Spion*innen. Man darf sich den Spitzel nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Zwar mag sie oder er den Nervenkitzel, der mit der Spionagetätigkeit verbunden ist, lieben, begierig die im Erfolgsfall gespendeten Komplimente und Lobreden der Auftraggeber*innen aufsaugen oder die finanziellen Gefahrenzulagen zu schätzen wissen. Zugleich aber leiden Spitzel vielfach an Schlaflosigkeit, die enorme nervliche Anspannung, nicht auffliegen zu dürfen, die andauernde Verstellung und der ständige Schwebezustand zwischen richtigem und falschem Leben lasten schwer auf ihnen und lassen sich dauerhaft folgenlos kaum aushalten.

Wer aber sind nun die Spione, Spitzel und Agenten von früher und heute? Auf welchen Annahmen fußen unsere Urteile? Stereotypischen Vorstellungen stehen solche Persönlichkeiten und Spionagefälle gegenüber, die trotz ihrer Bedeutsamkeit erstaunlich unpopulär geblieben sind. Und auch jenes scheinbar abgesicherte Wissen über bekannte Kapitel der Spionagegeschichte erweist sich bei näherem Hinsehen als lückenhaft, dies aus dem schlichten Grund heraus, weil es mindestens in Deutschland bisher verblüffend wenig Forschung zu Geheimdiensten gibt. Mit Blick in die Zukunft schließlich stellt sich nicht zuletzt die Frage, wo sich neue Felder geheimer Informationsgewinnung abzeichnen und vor welchen Herausforderungen die Geheimdienste im 21. Jahrhundert stehen.
Diese Fragen ersucht die aktuelle INDES »Spitzel, Spione, Geheimdienste« zu beantworten, wobei sie sich nicht damit begnügen will, jene Debatten nachzuvollziehen, die im Zuge brisanter Geheimdienstaffären und Skandale geführt worden sind. Die Beiträge, die ein breites Themenspektrum abdecken, sollen sowohl mit verkürzter Kritik als auch mit einfachem Zuspruch brechen, blinde Flecken aufspüren und neue Fragen aufwerfen.

 

Dieser Beitrag orientiert sich am Editorial der aktuellen INDES »Spitzel, Spione, Geheimdienste« (04/2019) von Dr. Matthias Micus und Luisa Rolfes. Das Editorial im Original finden Sie hier.

Mehr Informationen zur aktuellen Ausgabe der INDES gibt es hier.

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