Welchen Herausforderungen begegnen HelferInnen in der Arbeit mit Geflüchteten? Die Herausgeberinnen der Reihe »Fluchtaspekte. Geflüchtete Menschen psychosozial unterstützen und begleiten« Maximiliane Brandmaier, Barbara Bräutigam, Silke Birgitta Gahleitner und Dorothea Zimmermann im Interview.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Helferinnen und Helfer insbesondere, die sich in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren?
DZ: Meines Erachtens ist die größte Herausforderung, dass es sich um Herausforderungen auf vielen so sehr unterschiedlichen Ebenen handelt.
Es ist in diesem Feld noch mehr - wie auch sonst in der sozialen Arbeit - nicht möglich »neutral« zu handeln. Die Gründe der Flucht, die Erfahrungen der Geflüchteten auf der Flucht als Folge dessen, dass es keine legalen Fluchtwege gibt, und vor allem die rechtlichen und sozialen Umstände im Aufnahmeland begleiten die Unterstützerinnen emotional sehr. Das kenne ich selbst gut und als ich vor mehr als 20 Jahren angefangen habe mit Geflüchteten aus Bosnien zu arbeiten war meine Gruppe von Therapeutinnen am Südost-Europa-Kultur Zentrum der Raum, der mich gerade in dieser Hinsicht fähig gemacht hat mit der Wut, der Scham und der Trauer umzugehen und es möglich zu machen sich überhaupt so lange mit diesem Thema zu beschäftigen. Dabei finde ich es wichtig diese Gefühle nicht als zu starke Identifikation mit den Geflüchteten, also dem Klientel, zu pathologisieren, sondern sie als angemessene Reaktion zu identifizieren und auf dieser Grundlage eine Strategie zu entwickeln, die vor allem durch eine gute Vernetzung die Hilflosigkeit der Unterstützerinnen überwindet.
Gleichzeitig bedeutet es eine große Herausforderung die individuellen Erfahrungen der Geflüchteten, besonders auch der Kinder und Jugendlichen zu hören, diese erstmal annehmen zu können und auf dieser Grundlage ihr jeweiliges Verhalten und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Dabei ist es immer wieder eine besondere Gratwanderung sich offen zu zeigen, das z.T. kaum Erträgliche zu hören, aber gleichzeitig nicht zu bohren, die jeweils für die Person richtige Grenze zu respektieren.
Es bedeutet dabei auch eine Herausforderung zu erkennen, welche Betroffenen welche Unterstützung brauchen. Auch wenn manche Entsetzliches erlebt haben, muss nicht unbedingt Traumatherapie die angemessene sein, für Andere kann es extrem wichtig sein, um z.B. ihre kreiselnden Gedanken und die Schlaflosigkeit zu überwinden. Immer aber ist die Frage der Ausgestaltung des sicheren Raums mit einer angemessenen Aufenthaltserlaubnis und einem sicheren Zuhause die wichtigste Option.
Ein großes Problem ist auch die völlige Unberechenbarkeit der Entscheidungen, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit als Grundlage für jede soziale Arbeit sehr erschwert. Diese Erfahrung machte ich gerade erst wieder diese Woche, als ein schwer traumatisiertes Mädchen wegen der Residenzpflicht doch nicht auf eine Reise der Wohngruppe mitfahren durfte.
MB: Ich sehe besonders auch in den asyl- und ausländerpolitischen Entwicklungen in den letzten beiden Jahren eine große Herausforderung sowohl für professionelle als auch für freiwillig engagierte Helferinnen. Denn nachdem vor zwei Jahren auch politisch eine sogenannte „Willkommenskultur“ für wenige Monate gefördert und auch gefordert wurde, lässt sich seither eine immer restriktivere Gesetzgebung in der Asylpolitik und eine stark populistische Rhetorik beobachten. Viele Helfende sind hier stark verunsichert, sie setzen sich einerseits für Geflüchtete ein und erfahren deren schlimme Lebens- und Fluchtgeschichten, erleben auf der anderen Seite ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen und wissen um Träume, Ziele und Hoffnungen. Sie unterstützen Geflüchtete dabei, in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und erleben dabei selbst die hohen Barrieren und die zum Teil unverständlichen Entscheidungen von Behörden, z.B. bei der Bewilligung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes oder bei Entscheidungen über den Asylantrag. Freiwillig Engagierte bekommen die Lebensumstände in einer Sammelunterkunft, welche ansonsten eher abgeschirmt von der Öffentlichkeit sind, oft sehr nah mit. Auch sie sehen sich häufig konfrontiert mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit, mit Ärger, Wut und Empörung, die sie manchmal nicht benennen können – auch weil sie selbst bislang solche entwürdigenden und ungerechten Erfahrungen mit dem Rechtsstaat nicht gemacht haben.
Bei welchen Problemen der Geflüchteten müssen die Helferinnen besonders achtsam sein? Wie können sie den Problemen am besten begegnen?
DZ: Das ist eine schwere Frage, weil ich am liebsten alle Umstände benennen würde. Achtsamkeit ist quasi die Überschrift.
Ein Bereich betrifft für mich der Umgang mit der Sorge um Angehörige, aber auch mit den Aufträgen, den vor allem junge Geflüchtete von ihnen bekommen haben. Diese zu respektieren, ihnen zu helfen eine eigene Haltung dazu zu entwickeln, vielleicht Trauerprozesse zu begleiten, Hilflosigkeit mit zu tragen ist schwer. Es kann sich jedenfalls um ein kontinuierliches Erleben von traumatisierenden Erfahrungen handeln. Dabei ist es immer wichtig im Auge zu behalten, dass die Frage von individueller und kollektiver Lebensplanung in den meisten Herkunftsgesellschaften unterschiedlich zur Aufnahmegesellschaft beantwortet wird.
Wichtig ist es auch sich zu vergegenwärtigen, dass es auf Grund der Auswirkungen der traumatisierenden Erfahrungen für Manche sehr schwer ist die Sprache der Aufnahmegesellschaft zu lernen. Wie oft höre ich die Verzweiflung darüber, dass kaum auszuhalten ist, zu merken, »dass nichts mehr in meinen Kopf geht vorher ging doch alles so leicht«. Dadurch ist es so gut wie unmöglich die Integrationsanforderungen zu erfüllen, die in ihrer Hauptsache auf Bildung und Spracherwerb basieren.
MB: Die Probleme der geflüchteten Menschen sind so vielfältig und im Einzelfall so verschieden, dass es schwierig ist, hier besondere Probleme herauszupicken. Ich denke, neben Achtsamkeit ist Respekt und Anerkennung hier ein wichtiger Punkt. Das meine ich in dem Sinne, dass es wichtig ist, den Mensch in seiner Einzigartigkeit zu erkennen und die Person mit all ihren Problemen und den Lösungswegen, die sie wählt, anzuerkennen – sofern sie nicht offensichtlich selbst- oder fremdschädigend sind.
Es ist sicherlich hilfreich, neu eingereisten Menschen zu zeigen, auf welchen Wegen in dieser Gesellschaft Probleme gelöst werden können und vielleicht auch manchmal auf negative Konsequenzen bestimmter Handlungen hinzuweisen. Viele Handlungen und Versuche, Problemen zu lösen, ergeben erst einen Sinn, wenn sie vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte und der Lebensinteressen einer Person gesehen werden. Daher finde ich es sehr wichtig, genau hinzuschauen und wirklich zuzuhören – statt mit ›Patentrezepten‹ z. B. für erfolgreiche ›Integration‹ aufzuwarten.
Es gibt einen Bereich, in dem besonders freiwillig Engagierte manchmal stark verunsichert sind, wie sie reagieren sollen – wenn sie mit Verhaltensweisen konfrontiert sind, die auf eine starke psychische Belastung oder eine psychische Störung hinweisen, z. B. traumareaktive Störungen, Angststörungen, psychotische Symptome oder Depression. Hier ist es hilfreich, sich zunächst selbst Beratung bei entsprechenden Fachstellen zu holen und sich über psychosoziale Hilfestrukturen am Wohnort zu erkundigen. Das Wissen über psychische Störungen und über die Dynamiken, die daraus für die soziale Beziehung resultieren können, kann auch vor einer zu starken Involviertheit schützen und selbst handlungsfähiger machen.
Welche Unterstützung benötigen ehrenamtliche und professionelle Helfer von Geflüchteten?
SBG: Meine Vorrednerin hat es schon angedeutet. Das größte Problem ist die unglaubliche Vielfalt von Hilfeanforderungen und –bedarfen. Das bedeutet Helferinnen und Helfer müssen vor einem sehr umfangreichen Wissenshintergrund in den kritischen Situationen jeweils intuitiv die richtige Entscheidung treffen. Dazu braucht es eine fundierte Vermittlung zentraler Wissensinhalte und Kompetenzen. Ich vermittle das meinen Studierenden immer als ›strukturierte Intuition‹. Aber dies ist zugleich eine Aussage über Hilfestrukturen und welche Bedarfe hier bestehen. Eine meiner Vorrednerinnen hat vorhin bereits betont: Manchmal ist eine Therapie notwendig und hilfreich, andere Geflüchtete brauchen vorerst ev. andere – wesentlich alltags- und lebensweltorientiertere - Maßnahmen. Das bedeutet jedoch, dass an den Clearing-Stellen hoch ausgebildete und diagnostisch breit geschulte Fachkräfte eingesetzt werden müssen, um dann die entsprechenden Hilfepfade einschlagen zu können, die sich auch für die Betroffenen als sinnvoll erweisen. Wird an dieser Stelle gespart, kommt es zu unangemessenen Einsätzen oder Mangelerfahrungen von Hilfeleistungen und das kann auch zu unnötigen Ausgaben führen. Das größte Problem in diesem Kontext aber wurde bereits angesprochen: Wie können uns auf der psychosozialen Ebene noch so bemühen und gute Arbeit machen, wenn es eine immer restriktivere Gesetzgebung gibt. In einer aktuellen Studie zu UMFs wird eindeutig nachgewiesen, wie stark der Einfluss des Aufenthaltsstatus auf die dortigen Erfolge ist. Geflüchtete Jugendliche mit Aufenthaltsstatus haben eine beeindruckend hohe Erfolgsquote, die entsprechend der Unsicherheit des Status kontinuierlich abnimmt. Wir verweisen damit hoch motivierten Nachwuchs und künftige Fachkräfte des Landes. Das ist nicht nachvollziehbar!
In welchen Bereichen denken Sie ist Fortbildung der engagierten Helferinnen besonders wichtig?
DZ: Für mich ist der Hauptpunkt die Vernetzung, mit staatlichen Stellen, im NGO Bereich, aber auch mit Migrantenorganisationen und natürlich auch Super- und Intervision. Wie wichtig war es für mich die Feste im Südost EuropaKulturzentrum, Essen, Singen, Tanzen und kulturelle Veranstaltungen, es kommt nicht nur Leid aus diesen Ländern. Außerdem brauchen Unterstützerinnen eine persönliche und gesellschaftliche Anerkennung für das, was sie tun. Im Alltag ist es oft schwer die politische Debatte und die Erfahrungen aus der Arbeit zusammen zu bringen. Gleichzeitig ist es extrem wichtig sich zu diesen so unterschiedlichen Themen, mit denen die Unterstützenden konfrontiert sind, fortzubilden, Fragestellungen wieder zu erkennen, Antworten zu finden. Dies ist für mich dies die Hauptmotivation für diese Buchreihe.
MB: Neben den oben genannten Punkten finde ich es sehr wichtig, dass die Helfer darauf achten, dass innerhalb ihrer Organisationsstrukturen eine anerkennende Atmosphäre herrscht. Denn es kann sehr belastend sein, die schlimmen Geschichten und die Erfahrungen von Ohnmacht und Hilflosigkeit auszuhalten. Deshalb halte ich Super- und Intervision für so essenziell – leider fehlen in vielen Organisationen gerade hierfür die finanziellen Mittel. Damit wären wir bei einem wichtigen Punkt, was Unterstützerinnen bräuchten – viele Projekte und Organisationen brauchen schlichtweg Geld, um Angebote machen zu können, qualifiziertes Personal einzustellen und Fortbildungen zu finanzieren.
Fort- und Weiterbildungen tragen dazu bei, Hintergründe und Verhaltensweisen von Geflüchteten zu verstehen und Dynamiken in den Interaktionen ebenso wie gesellschaftliche, administrative und politische Prozesse einordnen zu können. Sie helfen dabei, sich Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, sicherer zu agieren und sich somit handlungsfähiger zu fühlen.
BB: Ein weiterer Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang noch wichtig erscheint, ist die Reflexion eigener kultureller Gebundenheit. Kulturelle Unterschiede treten nicht nur dann auf, wenn ich Menschen aus anderen Ländern sondern auch der deutschen Nachbarin begegne. Kultur ist nicht an Nationalität gebunden sondern sehr viel heterogener, als wir uns das oft bewusst machen. Fortbildungen sollten Helferinnen auch dabei unterstützen, sich mit ihren individuellen kulturellen Eigenheiten auseinandersetzen.
Welches ist Ihr persönlicher Zugang zu dem Thema?
DZ: Der erste Zugang war ein Mich-berühren-lassen auf der einen und ein gesellschaftliches Fremdschämen für die Umgehensweise mit den Geflüchteten nach dem Balkankrieg auf der anderen Seite. Seitdem bin ich auch in meiner Arbeit bei Wildwasser immer wieder mit Mädchen mit Fluchtbiographien konfrontiert worden und habe mit ihnen zusammen gelernt, die Hilflosigkeit und Resignation, die sich in diesem Feld oft auftut (meistens) zu überwinden, ob durch Unterstützung auf therapeutischer oder struktureller Ebene. Wichtig waren für mich dabei auch die Kontakte und Sichtweisen, die sich durch meinen Austausch mit Fachkräften vor Ort in Bosnien, in Kurdistan/Irak und in der Ukraine erleben konnte.
SBG: Auch bei mir war es eine Klientin, die mich mit ihrer Lebensgeschichte sehr berührt hat. Sie hat trotz schwierigster Lebensereignisse und keinerlei sozialer Einbindung zu Beginn der Hilfe an der Bewältigung ihrer traumatischen Erfahrungen gearbeitet, die Schule nachgeholt, sich in der Jugendwohngruppe in das dortige Netzwerk integriert und ihren Lebensweg mit unendlicher Kraft gestaltet. Die vielen Rückschläge durch die restriktive Gesetzgebung haben mir zum Teil den Atem genommen, da sie stets auf eine eigentlich hoch motivierte, leistungsfähige und reflexive Klientin stießen und ihr Engagement immer wieder neu auf die Probe stellten. Ohne die schützende Insel, die die Einrichtung ihr geboten hat, wäre es für sie – denke ich – noch unendlich schwerer gewesen. Aber den entscheidenden Teil hat sie selbst mit ihrer beeindruckenden Kraft geleistet.
BB: Mein Großvater ist 1917 aus Russland nach Deutschland geflüchtet und hat bis 1945 als Staatenloser in Berlin gelebt. Mein Vater und mein Onkel sind als Staatenlose geboren und haben gemeinsam mit meinem Großvater 1946 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten – das war für die Familie ein zentrales Ereignis in ihrem Leben. Ich habe selbst über das Thema der psychischen Auswirkungen politischer Verfolgung promoviert und mir begegnet das Thema Flucht und Verfolgung in meinem Leben an manchen und manchmal auch sehr unerwarteten Stellen.
MB: Während meines Psychologie-Studiums in Trier engagierte engagierte ich mich in einer lokalen NGO im Themenbereich Asyl und Flucht. Im Zuge dessen besuchten wir eine Zeitlang regelmäßig die damals dort angesiedelte – und mittlerweile glücklicherweise geschlossene – »Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LufA)«, auch das »Ausreisezentrum« genannt. Die Begegnung mit einem Geflüchteten dort wurde für mich zum Schlüsselerlebnis, das mir die krankmachende Wirkung des Asylsystems vor Augen führte. Nach unserem ersten Treffen, bei dem er sehr fröhlich, zugewandt und offen war, vergingen zwei bis drei Monate, bis ich ihn wiedersah – und erschrak: Er sah völlig verändert aus, ein trauriger, leerer Blick, er hatte gelbliche, krank aussehende Augen und sprach kaum ein Wort. Die zermürbende Wirkung des jahrelangen Asylverfahrens, von jahrelangen Kettenduldungen und von der Unterbringung in Sammelunterkünften habe ich seither nicht nur in meinem freiwilligen Engagement, sondern auch in einer Forschungsarbeit immer wieder beobachtet.
Die Buchreihe »Fluchtaspekte« setzt sich zum Ziel, das Geschehen und die Prozesse rund um die Themen Flucht und Asyl und die psychosoziale Unterstützung auf verschiedenen Ebenen und in ihren vielen Facetten zu beleuchten. Dabei ist es mir wichtig, dass diese Prozesse immer auch in ihrem gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhang gedacht werden – und ich denke, die Autorinnen der Reihe schaffen diesen Spagat sehr anschaulich und praxisnah.
Ich danke Ihnen für das Gespräch!
© Vandenhoeck & Ruprecht. Das Gespräch führte Maren Döpke. Das Interview ist freigegeben für Ihre Presseberichterstattung! Bitte senden Sie nur nach Veröffentlichung einen Beleg an pr@v-r.de. Danke!