Wilhelm I. – Privatperson, preußischer König, Personenmarke, Deutscher Kaiser

Pünktlich zum 150. Jahrestag des Deutschen Kaiserreiches legt Robert-Tarek Fischer seine Biografie »Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser« vor. Wenn man von Wilhelm I. spricht, blickt man meist auf die Spätphase seines Lebens und sieht ihn dabei in stetiger Konkurrenz zu Otto von Bismarck – wenn nicht gar in seinem Schatten. Robert-Tarek Fischer hat sich mit seiner Biografie auch dem Ziel gewidmet, Wilhelm I. aus genau diesem Schatten zu holen. Genau deswegen soll es in den folgenden Fragen einmal nicht um Wilhelm und Otto von Bismarck gehen. Im Gespräch schildert Robert-Tarek Fischer, wie die Lebensumstände Wilhelms waren, welche Bedeutung sowohl Wilhelms Ehefrau Augusta als auch seine Schwester Charlotte von Preußen – spätere Zarin Alexandra Fjodorowna – hatten und wie Wilhelm sich selbst als Personenmarke etablierte.

Die Niederlagen von Jena und Auerstedt, die Besetzung Preußens durch Napoleon, die Völkerschlacht bei Leipzig und der Wiener Kongress – bereits die Kindheit von Wilhelm war von Krisen und politschen Ausnahmezuständen geprägt. Wie äußerten sich diese Umstände für Wilhelms weiteren Lebensweg und wie sehr bestimmten diese Umstände seine Lebenswelt?

Robert-Tarek Fischer: In diesen Krisenjahren prasselte viel auf Wilhelm ein, die Königsfamilie war ja im Grunde jahrelang auf der Flucht und dann in einem Quasi-Exil. Vor allem der qualvolle Tod seiner Mutter Luise von Preußen, den der damals 13jährige Prinz mit eigenen Augen sah und für den viele Napoleon verantwortlich machten, war ein traumatisches Erlebnis für ihn. Politisch gesehen nahm er aus diesen Krisenjahren vor allem die Frage mit, wie man die preußische Monarchie verlässlich stabilisieren konnte. Lebenslange Prägungen waren außerdem: eine Affinität zu Russland, Misstrauen gegenüber Frankreich (für Wilhelm der Hort der Revolution schlechthin) und eine starke Nähe zur Armee.

Wilhelms Ansehen als preußischer Prinz war in der Bevölkerung ambivalent, was in seiner Zuschreibung „Kartätschenprinz“ in der Märzrevolution und seiner anschließenden Inkognitoflucht nach Großbritannien gipfelte. Wie sehr sind die Flucht und das Exil als Zäsur in seinem Leben zu betrachten – politisch wie persönlich?

Robert-Tarek Fischer: Für Wilhelm stellte dies die größte Demütigung seines Lebens dar, er war ja Ende März 1848 quasi wie ein Verbrecher auf der Flucht. Dass er selbst dazu wesentlich beigetragen hatte, wollte er lange nicht einsehen. Gleichzeitig setzte dieser Einschnitt bei ihm aber einen politischen Umdenkprozess in Gang. Aus dem hochkonservativen Hardliner wurde ein gemäßigter Konservativer mit liberalen Einsprengseln, der akzeptierte, dass Preußen nun ein Verfassungsstaat war.


Die anschließenden Koblenzer Jahre könnte man als Zeit der Liberalisierung von Wilhelms Weltanschauung und seiner politischen Einstellung bewerten. Welche Rolle spielte seine Frau Augusta dabei, und wie sehr ist diese Zeit bezeichnend für die Ehe Wilhelms?

Robert-Tarek Fischer: Die Ehe trat in Koblenz in eine neue Phase ein. Bis 1848 hatte die politisch sehr interessierte und liberaler orientierte Augusta ziemlich erfolglos versucht, die Weltanschauung ihres Ehemanns in ihrem Sinn zu beeinflussen. Nach dem Revolutionsschock begann sich Wilhelm jedoch mit gemäßigteren politischen Konzepten zu befassen, und nun vermochte es Augusta, seinen Kurswandel noch etwas mehr zu vertiefen. Bezeichnend für die Ehe Wilhelms I. waren die Koblenzer Jahre aber eigentlich nicht, denn nach seiner Machtübernahme in Preußen drifteten er und Augusta in ihren politischen Ansichten bald wieder auseinander. Dass Wilhelm beispielsweise Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannte, war für Augusta kaum zu ertragen.


Neben seiner Frau Augusta spielte auch Wilhelms Schwester Charlotte von Preußen, die spätere Zarin Alexandra Fjodorowna, eine bedeutende Rolle für ihn, was sich auch in deren stetigem Briefwechsel zeigt. Inwiefern ist dieser Briefwechsel auch Politikum als ständiger Draht an den russischen Zarenhof?

Robert-Tarek Fischer:
Zunächst war der Briefwechsel nur der Ausdruck einer tiefen Zuneigung zwischen Bruder und Schwester. Politisches Gewicht hatte er jahrelang kaum, denn Charlottes Ehemann Nikolaus war für den russischen Thron gar nicht vorgesehen. Als er 1825 dann aber völlig unerwartet an die Herrschaft kam, tauschte sich Wilhelm plötzlich mit der Zarin von Russland aus. Damit wurde der Briefwechsel zu einem erstrangigen Politikum und für Wilhelm zu einem wertvollen Kapital. Ab 1848 kamen aber zwischen ihm und den Romanows zunehmend Misstöne auf, denn das Zarenpaar lehnte Wilhelms politische Kurskorrektur vehement ab.


Als preußischer König etabliert sich Wilhelm auch bereits als Personenmarke und erkennt die Chance, die sich durch die Medien und die neuen Formen von Öffentlichkeit bieten. Wie genau nutzt Wilhelm den Zeitenwandel in Medien und Gesellschaft, um sein öffentliches Bild zu prägen?

Robert-Tarek Fischer: Wilhelm nutzte die Presse bereits in den 1850er Jahren, als er noch nicht König war, um vom Image des »Kartätschenprinzen« wegzukommen. Er ging dabei insofern nicht ungeschickt vor, als er darauf verzichtete, sich als völlig Gewandelten darzustellen, was ihm wahrscheinlich kaum jemand geglaubt hätte. Stattdessen präsentierte er sich als partiell geläuterter Mann, der zwar immer noch konservativ, aber eben kein Hardliner mehr war und ein gewisses Maß an Reformbereitschaft aufwies. Das war authentisch und funktionierte gut – als Wilhelm 1857/58 an die Macht kam, hing ihm tatsächlich das Image eines moderaten Konservativen an. Wilhelm war allerdings nicht in dem Sinn modern, dass er die Presse als wichtiges Element einer aufgeschlossenen Öffentlichkeit gesehen hätte. Wenn Zeitungen kritisch über ihn und seine Politik berichteten, missfiel ihm das sehr.


Kommen wir abschließend zu dem wohl bedeutendsten Ereignis in Wilhelms I. Leben, welches Deutschland bis heute maßgeblich prägt: Der Proklamation zum Kaiser in Versailles vor 150 Jahren, über die Wilhelm selbst sagte: »Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens! Da tragen wir das preußische Königtum zugrabe.« Welche Bedeutung hatte die Kaiserproklamation für Wilhelm und welche Veränderung in der Art seiner Repräsentanz ging damit einher?

Robert-Tarek Fischer: Dass die deutsche Kaiserwürde den preußischen Königstitel in den Schatten stellen würde, machte Wilhelm I. in der Tat schwer zu schaffen. Weit weniger störte ihn allerdings die nun fixierte preußische Vormachtstellung im Kaiserreich. Dass „Preußen an die Spitze Deutschlands“ kommen sollte, war schon viele Jahre zuvor sein Credo gewesen.
Was seine Repräsentanz betrifft, so passte Wilhelm I. sie den neuen Gegebenheiten an, änderte sie aber nicht grundlegend. Denn im Kern hatte er seine Linie schon zuvor gefunden. Er inszenierte sich als würdevolles und respektgebietendes, aber zugleich bodenständiges und auch gütiges Staatsoberhaupt – nur eben jetzt in noch größerem Rahmen. Und das gelang ihm offensichtlich sehr gut, denn er gewann auch über die Grenzen Preußens hinaus stark an Popularität. Dass diese Popularität auch Schattenseiten hatte, ist freilich nicht zu leugnen.

 

© Vandenhoeck & Ruprecht Verlage. Das Interview wurde von Stefan Lemke schriftlich geführt und ist freigegeben für Ihre Presseberichterstattung. Bitte senden Sie nach Veröffentlichung einen Beleg an presse@v-r.de. Danke!

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