Albert Speer ist es mit seinen »Erinnerungen« gelungen, nachhaltigen Einfluss auf seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu nehmen und die allgemeine Leserschaft sowie die Geschichtswissenschaft zu beeindrucken. Dies thematisiert Dr. Roman B. Kremer in seinem Buch »Autobiographie als Apologie« und stellt sich den Fragen von Sebastian Böck im Interview.
Sebastian Böck: Guten Tag, Herr Dr. Kremer, in Ihrer Studie »Autobiographie als Apologie« zitieren Sie eingangs Heinrich Breloer, den Regisseur des Doku-Dramas »Speer und Er« mit den Worten: »Wir alle schauen auf das Dritte Reich, ob wir es wollen oder nicht, durch die Brille Albert Speers« – wie konnte es einem so prominenten Nationalsozialisten wie Speer überhaupt gelingen in der Bundesrepublik als authentischer Zeitzeuge, ja sogar als vermeintlicher Chronist des ›Dritten Reichs‹ zu reüssieren?
Roman B. Kremer: Bislang ist man in der Forschung immer davon ausgegangen, dass die bundesrepublikanische Öffentlichkeit sich schlicht nach einem Entlastungszeugen gesehnt hat, den sie in Speer gefunden hat. Häufig hat man auch den Grund bei Speers einflussreichen Fürsprechern und Helfern wie Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler gesucht. Ich schlage hingegen einen völlig neuen Zugang vor: Meine Untersuchung richtet sich auf Speers Rhetorik und damit auf die Art und Weise, wie er argumentiert hat. Speer war also vor allem deshalb so erfolgreich, weil er rhetorisch unglaublich geschickt agierte.
SB: Neben Speers »Erinnerungen« haben Sie auch die autobiographischen Schriften weiterer hochrangiger NS-Repräsentanten einer detailreichen rhetorischen Analyse unterzogen. Welches Forschungsinteresse tragen Sie an diese Texte heran? Welcher Erkenntnishorizont eröffnet sich, wenn man sich historischen Quellen wie diesen unter dem Blickwinkel der Rhetorik annähert?
RK: Erst im Kontrast zu anderen Texten wie »Ich glaubte an Hitler« von Speers Mithäftling, dem ehemaligen Reichsjugendführer Baldur von Schirach, wird deutlich, wie raffiniert Speer seine Texte aufgebaut hat und warum diese so außergewöhnlich erfolgreich werden konnten. Durch die rhetorische Analyse werden zudem bestimmte Grundstrukturen autobiographischer Rechtfertigung offengelegt, die helfen können, auch aktuelle Autobiographien besser zu verstehen. Nehmen Sie etwa die Autobiographien der NS-Großadmirale Karl Dönitz und Erich Raeder: Das gleiche Muster der Kontinuitätsbiographie, das Sie dort finden, sieht man heute auch in vielen Autobiographien von unseren Politikern.
SB: Im Vergleich zu den übrigen apologetischen Selbstinszenierungen, die Sie für Ihre Untersuchung herangezogen haben: Was zeichnet die Narration von Hitlers einstigem Stammarchitekten aus? Lässt sich die Erfolgsgeschichte seines Buches unter rhetorischen Gesichtspunkten erklären?
RK: Ich denke, dass hieran überhaupt kein Zweifel mehr bestehen kann. Ich konnte erfolgreich nachweisen, dass Speer ein ganz besonderes Argumentationsmuster benutzt hat, das ich Schein-Selbstanklage nenne und das unter den ehemaligen Nationalsozialisten wohl einzigartig war. Grob vereinfacht könnte man sagen, dass Speer sich permanent selbst beschuldigt hat, dabei aber so geschickt Lücken in die eigene Argumentation eingebaut hat, dass ihm niemand geglaubt hat. So konnte er sein Publikum regelrecht überlisten: Speers Argumentation war gerade dadurch erfolgreich, dass eingeplant war, dass man ihm
nicht glauben wird.
SB: Abschließend stellt sich die Frage, welche allgemeinen – über den Behandlungsrahmen Ihrer Arbeit hinausgehenden – Aussagen sich zum prekären Status von Begriffen wie Wahrheit, Schuld und Rechtfertigung für den Umgang mit zeitgeschichtlichen Selbstzeugnissen treffen lassen.
RK: Rechtfertigung ist eine historische Konstante des Autobiographischen, eine Grundzutat. Wie sie aber ausgestaltet wird – im Anerkennen oder Leugnen von Schuld –, darin liegen die Unterschiede, die Autobiographien so interessant machen. Wenn Sokrates als Strafe für sich ein Festmahl fordert, zieht sich von dort ein roter Faden durch die Geschichte bis hin zu Karl Dönitz, der sich keiner Schuld bewusst ist, und weiter zu George W. Bush, der in seiner Autobiographie den Irakkrieg rechtfertigt. Gleichermaßen: wenn Augustinus in den »Bekenntnissen« vor Gott seine Sünden beichtet, begründet er damit eine Tradition, in die Baldur von Schirachs Eingeständnis »Ich glaubte an Hitler« ebenso gehört wie Karl-Theodor zu Guttenbergs Einschätzung, »Vorerst gescheitert« zu sein. Wahrheit werden Sie in Autobiographien aber vergeblich suchen.
Zum Autoren: Dr. Roman B. Kremer studierte Allgemeine Rhetorik, Politikwissenschaft, Theologie und Informatik in Tübingen und Uppsala, Schweden. Er promovierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Fachbereich Germanistik. Derzeit arbeitet er als Logistiktrainer bei einem Softwareunternehmen.
© V&R unipress. Das Gespräch führte Sebastian Böck. Das Interview ist freigegeben für Ihre Presseberichterstattung! Bitte senden Sie nach Veröffentlichung einen Beleg an c.vondracek@v-r.de. Danke!