Weihnachten 1989 fand ein besonderes Konzert in Berlin statt. Leonard Bernstein dirigierte dort Beethovens 9. Symphonie. Die Ode »An die Freude« hatte er zu diesem Zweck umbenannt und ließ den Chor die Ode »An die Freiheit«“ singen. Dafür gab es Lob und Kritik, aber Bernstein, der Beethoven verehrte und eine legendäre Einspielung aller neun Symphonien vorzuweisen hatte, war sich sicher, dass Beethoven mit dieser Umdichtung einverstanden gewesen wäre. Die Verbindung von Mauerfall und Weihnachtstagen, die Zusammensetzung des Orchesters, der charismatische Dirigent und natürlich die große Komposition ließen dieses Konzert zu einem unvergesslichen Höhepunkt werden.
Und es scheint in der Tat wahrscheinlich, dass Bernstein mit seiner Einschätzung recht hatte, denn Beethoven, der die Ideale der Französischen Revolution teilte, soll schon 1793 erwogen haben, Schillers Ode als ein »Lied an die Freiheit« zu vertonen, wie Jost Hermand in seiner Beethoven-Biographie vermerkt.
Musik und ideologische Zuversicht
Vor 250 Jahren wurde Ludwig van Beethoven in Bonn geboren, ab heute bis zum 17. Dezember 2020 wird der wohl meistgespielte Komponist der Welt gefeiert. Er beeinflusste nicht nur zahlreiche andere Musiker, vollendete die Wiener Klassik, bereitete den Weg vor für die Romantik, er war auch tief geprägt von Humanismus und Aufklärung und Hermand betont, wie wichtig zum wirklichen Verstehen der Musik auch die historische Verortung ist. Die »ideologische Zuversicht« die Beethoven auszeichnet, sollte auch heute noch die Hörerinnen und Hörer erreichen können, wünscht sich der Biograph.
Historische Verortung und Wirkung
Beethoven nahm mit seinen Werken politisch Stellung, seine Begeisterung für Napoleon Bonaparte etwa, dem er die »Eroica« widmete, endete jäh, als dieser sich zum Kaiser krönte, der Komponist kratzte danach die Widmung aus dem Notenpapier. Den späteren Krieg gegen Napoleon fasste Beethoven gar zunächst als Freiheitskampf auf, eine Hoffnung, die allerdings enttäuscht wurde, die anschließende Restaurationspoltiik erbitterte Beethoven so sehr, dass es sogar fast zu einer Schaffenspause kam.
Sein Interesse für Politik, Philosophie und Literatur ist ein prägendes Element nicht nur für Beethovens Persönlichkeit, sondern eben auch für sein musikalisches Werk. Sein Leben, sein schwieriger Charakter, das Verhältnis zu Frauen, die Taubheit des Komponisten waren Stoff für Filme, Bücher, Kunstwerke. Seine Werke werden noch heute (wie das Beispiel oben zeigt) zur politischen Repräsentation genutzt. Beethoven in seinen vielen Facetten zu beleuchten, als Humanist zu würdigen und sein musikalisches Werk auch historisch zu verorten und zu würdigen, ist Anliegen Jost Hermands in seiner nun in einer aktualisierten Fassung vorliegenden Biographie.
Die wiedervereinigte Symphonie
Und schließlich sei noch erwähnt, dass die Wahl Beethovens für das Weihnachtskonzert in Berlin auch daher besonders stimmig war, weil die Originalhandschrift der 9. Symphonie erst durch den Mauerfall „wiedervereinigt“ wurde: Ein Teil lag in der Ost-Berliner Staatsbibliothek, der andere in der Staatsbibliothek im Westteil der Stadt, der Schnitt ging mitten durch die Doppelfuge des Schlusssatzes.